Uralte Bauakten und Grundbücher „endgelagert“

■ Chaos im Liegenschaftsamt: Im Monat bis zu 4.000 Anfragen

Mitte. Die Sachbearbeiter im Ostberliner Liegenschaftsamt stehen vor dem Chaos: Durch die geplante Rückführung der enteigneten Grundstücke in der DDR liegen ihnen rund 12.000 Anträge auf Grundbuchänderungen und Grundbuchauskünfte vor. Pro Monat erhält das Liegenschaftsamt weitere 4.000 mündliche und schriftliche Anfragen. Die Bearbeitungszeit beträgt zur Zeit rund ein halbes Jahr.

Doch die über den Besitz entscheidenden Grundbücher sind in den 40 Jahren DDR längst geschlossen und vergammmeln in den Archiven: Wenn die DDR-Stellen Privatbesitz in volkeigenen Besitz umwandelten, wurden neue Akten angelegt, die alten wurden „endgelagert“. Sie waren „ein Teil des bürgerlichen Erbes der DDR“, so der Wohnstadtrat Dr. Clemens Thurmann, und wurden als solches behandelt. Jetzt müssen die Grundbuchakten, heute als Teil des sozialistischen Erbes, wieder herausgeholt werden.

Mehrere zehntausend Akten von Gesamt-Berlin aus der Zeit zwischen dem 17. Jahrhundert und den 40er Jahren dieses Jahrhunderts lagern in den Kellergewölben des Stadtgerichts in der Littenstraße. Weitere Akten wurden in Container und in Gebäude in Cottbus ausgelagert. Kompliziert wird's, da die vergilbten Papiere, die kaum noch die Bezeichnung „Akte“ verdienen, zum Teil nicht sortiert sind. Doch vernichtet wurde in den 40 Jahren nichts, so ein Sachbearbeiter. Wer Anspruch auf ein Grundstück in der DDR hat, muß entweder selbst hier eingetragen sein oder eine Erbschaft einer hier eingetragenen Person besitzen.

Auch Historiker aus Ost und West haben beim Liegenschaftsamt schon angefragt, ob sie die zum Teil historisch wertvollen Akten untersuchen dürften - doch das mußte abgelehnt werden, so der Präsident des Amtsgerichts, Dr. Karl-Heinz Oehmke. Die Angestellten haben erst mal genug damit zu tun, sich selbst einen Überblick über die 3.500 Meter Akten zu verschaffen: „Bei der Klärung spielt die Verfügbarkeit der Akten eine wichtige Rolle“, so Thurmann.

Schon seit den sechziger Jahren versuchten die Leiter des Stadtgerichts, die Akten in ihrem Keller loszuwerden: Stromleitungen und Renovierungen konnten in den Kellergewölben nicht vorgenommen werden, weil überall die Akten herumlagen. „Eigentlich dürfte hier niemand rein“, so Stadtrat Thurmann, weil die Regale einzustürzen drohen. Gegen ein Feuer in dem entscheidungsträchtigem Archiv gibt es auch kaum Sicherungsmaßnahmen. Thurmann will alle Dokumente jetzt zusammenfassen und in geeigneten Depoträumen, zum Beispiel in dem ehemaligen MfS -Gebäudekomplex in der Straße der Befreiung, archivieren lassen. Dort soll das Archiv dann auch professionell in Computerdatenbänke übertragen werden.

Rochus Görgen