Keine Dollars für die Perestroika

■ Für ihn, so US-Präsident George Bush, gebe es zur Zeit „wichtigere Probleme“ als der im Vorfeld des Gipfels so heftig diskutierte Milliardenkredit für Gorbatschow: die Agrarsubventionen der EG beispielsweise. Die USA drängen massiv auf einen Abbau der Gelder aus Brüssel. Japan hat ebenfalls andere Präferenzen: ein Milliardenkredit an die alten Männer in Peking.

Weltwirtschaftsgipfel läßt Gorbatschow zappeln

Für die Sowjetunion wird es vorläufig nur Deutschmark, aber keine Dollar geben. Schon am Eröffnungstag des diesjährigen Wirtschaftsgipfels im texanischen Houston hat die Bundesregierung im Streit mit den USA über eine mögliche direkte Finanzhilfe der sieben Industrienationen für Michail Gorbatschow verloren. Nach Auseinandersetzungen hinter den Kulissen des Houstoner Gipfelspektakels wird die Bush -Administration lediglich der in Dublin beschlossenen Aufforderung der europäischen Länder an die EG-Kommission zustimmen, bis zum nächsten Treffen der sogenannten G-7 -Länder (USA, Kanada, Japan, BRD, Italien, Großbritannien, Frankreich) im Herbst eine Analyse der sowjetischen Wirtschaftslage zu erstellen. Während Bonn und Paris eine Art Marshall-Plan für die Sowjetunion in Höhe von mindestens 15 Milliarden Dollar eingetreten waren, halten die USA, Großbritannien und Japan eine Soforthilfe zur Stützung Gorbatschows aus den verschiedensten Gründen für verfrüht. Der Beschluß wurde in der Runde der Finanzminister vorbereitet und dann als gemeinsame Linie ausgegeben. Wie Bundesfinanzminister Theo Waigel und Wirtschaftsminister Helmut Haussmann nach der ersten Arbeitssitzung berichteten, unterstützten alle Minister den Vorschlag, die sieben Gipfelteilnehmer sollten sich der Forderung der EG nach einer Studie über den Zustand der sowjetischen Wirtschaft anschließen.

Die Studie war auf dem EG-Gipfel Ende Juni in Auftrag gegeben worden und soll laut Haussmann im Oktober vorgelegt werden. Die Finanzminister der europäischen Staaten wollen auf dem Gipfel zudem darauf dringen, den Brief des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow an US-Präsident George Bush zu beantworten, um damit einen Dialog zwischen den 7 und der Sowjetunion über Unterstützungsmöglichkeiten einzuleiten. In dem Schreiben hatte Gorbatschow noch einmal um finanzielle und wirtschaftliche Hilfe des Westens für seinen Reformkurs gebeten. Haussmann sagte, nach den Vorstellungen der Finanzminister sollte Bush als Gastgeber des Gipfeltreffens die Antwort formulieren. Er unterstrich, daß auch der kanadische Finanzminister Michael Wilson den Vorschlag unterstütze. Haussmann ergänzte, mit US -Finanzminister Brady sei man sich darüber im klaren gewesen, daß es neben einer sorgfältigen Analyse der sowjetischen Lage eine Antwort des Gipfels geben müsse.

Die USA, Japan und auch Großbritannien haben finanzielle Hilfe an die Sowjetunion bislang abgelehnt. Sie fürchten, daß Hilfsgelder ohne Fortschritte bei marktwirtschaftlichen Reformen in der Sowjetunion wirkungslos bleiben. Der entscheidende Grund für Bush, eine Unterstützung für Gorbatschow jetzt abzublocken, ist allerdings ein anderer. Nachdem der US-Präsident entgegen allen früheren Versprechungen jüngst doch eine Steuererhöhung verkünden mußte, will er nun vor den Senatswahlen im November den innenpolitischen Konflikt um Kredite für den früheren Erzfeind nicht riskieren.

Die Studie der EG-Kommission, die auf dem EG-Gipfel in Dublin im Juni in Auftrag gegeben worden war, soll laut Haussmann im Oktober vorliegen. Bonns Wirtschaftsminister übte sich in Houston hauptsächlich in dem Stilmittel, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und behauptete, der Vorschlag bedeute keine „Verzögerungstaktik“ gegenüber der Sowjetunion. Auch seien damit eigene Maßnahmen der einzelnen Staaten nicht ausgeschlossen. Waigel unterstrich jedoch gleich, daß die Bundesrepublik der Sowjetunion vorerst keine eigene Finanzhilfe mehr zusagen werde. Mit der Bürgschaft für den Fünf-Milliarden-Bankenkredit habe sie „das uns Mögliche getan“. Es würde die Kraft der Bundesrepublik überfordern, die notwendige Hilfe in vollem Umfang alleine zu leisten. Offenbar um den USA ihre Zustimmung zu erleichtern, schwenkte Waigel auch auf deren Vorbehalte ein und sprach sich in Houston ebenfalls dafür aus, westliche Hilfe an die Sowjetunion an marktwirtschaftliche Reformen, etwa einer Liberalisierung des Waren- und Zahlungsverkehrs, zu koppeln. Dies solle aber nicht als „Auflage“ formuliert werden.

In der ersten Arbeitssitzung der Staats- und Regierungschefs am Montag nachmittag plädierte Kohl dafür, daß der Wirtschaftsgipfel jetzt entscheide, was mittel- und langfristig getan werden könne, um den politischen und wirtschaftlichen Reformprozeß in der Sowjetunion abzustützen. „Hier geht es um eine Entwicklung mit erheblichen Auswirkungen nicht nur für Europa, sondern für das gesamte Feld der Politik“, sagte Kohl. Es müsse im Interesse aller Gipfelpartner liegen, wenn die Sowjetunion stärker in die internationale Arbeitsteilung eingebunden werde. Vor allem aber liegt dies im Interesse Helmut Kohls, der am Samstag nach Moskau fliegen wird, um Gorbatschow seine Bemühungen der Gipfeldiplomatie der letzten Wochen zu präsentieren. Viel hat er dabei nicht vorzuweisen. Die EG hat, wie jetzt der Weltwirtschaftsgipfel in Houston, Kreditzusagen vertagt, die Nato es bei ihrem „historischen“ Treffen in London hauptsächlich bei schönen Worten belassen.

Ob Gorbatschow dies ausreicht, einer gesamtdeutschen Nato -Mitgliedschaft zuzustimmen und damit sein wirksamstes Druckmittel aus der Hand zu geben, darf bezweifelt werden.

ropa/jg/ap