„Der Stasi ging es um Einfluß im Nahen Osten“

■ Der RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Boock zu den RAF-Verhaftungen in der DDR und den Interessen der Stasi / Die gegenwärtige Zeit bietet seiner Meinung nach auch die Chance, die Diskussion um die Aussteiger neu zu beginnen

taz: Erich Honecker habe eine „schwärmerische Liebe“ zur RAF entwickelt, behauptet der 'Spiegel‘. Wie findest du einen solchen Liebhaber?

Boock: Ich kann mir schon vorstellen, daß mancher dieser bürokratisch versandeten Pseudorevolutionäre aus dem Politbüro vielleicht mit etwas Gänsehaut im Nacken die Aktionen der Gruppe verfolgt hat - als das, wozu er selbst nie gekommen ist. Den Versuch einer Revolution in Deutschland hat es seinerzeit ja nicht gegeben. Die Ironie liegt darin, daß dann die erste real stattfindende Revolution die vermeintlichen Revolutionäre vom Teller geputzt hat. Das ist eine doppelte Ironie, denn sie betrifft nicht nur die Politavantgarde der DDR, sondern auch die selbsternannte Politavantgarde der RAF. „Mein Traum war es nie, in

einem bürokratisierten

Milieu ein Rädchen

von tausend zu sein“

Beneidest du denn die RAF-Aussteiger, die in der DDR die letzten zehn Jahre im Gegensatz zu dir außerhalb von Gittern verbringen konnten?

Nee, wirklich nicht. Erstens war es nie mein Traum, in einem kleinbürgerlichen bürokratisierten Milieu ein Rädchen von tausend anderen zu sein. Und zum zweiten war für mich von vornherein klar, daß die Geschichte der RAF nicht in irgendeinem Exil zu lösen ist, sondern hier. Ich glaube, ich habe die letzten zehn Jahre nicht vertan. Für mich ist der Weg, den ich gegangen bin, einfach der konsequentere. Ich weiß auch nicht, wie die da drüben mit ihrem Leben zu Rande gekommen sind. Das wird man vielleicht mal in Zukunft erfahren.

In einem 1988 in der Zeitschrift 'Konkret‘ veröffentlichten RAF-Papier mit dem Titel „Boocks Lügen“ ist die Rede von acht Aussteigern, für die man einen guten Weg gefunden habe. Inzwischen sind aber schon neun Personen in der DDR festgenommen worden, wenn man die wieder freigelassene Christine Dümlein dazuzählt...

Offenbar wußten diejenigen, die damals aus dem Knast die Polemik gegen mich geschrieben haben, selber nicht, daß sich noch weitere Leute abgesetzt haben. Diese Polemik richtete sich gegen mich, weil ich mir vom Moment der Loslösung von der RAF an herausgenommen habe, meinen Weg wirklich selbst zu bestimmen, und genau das wollte die Gruppe nicht. Klar die DDR war eine Möglichkeit des Rückzugs, wo die Gruppe auch weiterhin den Daumen draufhalten konnte und wo keiner eigenständig etwas tun konnte.

Erst mal aber hatte die Stasi den Daumen drauf...

Ich vermute, daß sehr genaue Bedingungen abgemacht worden sind, an die sich die Leute auch halten mußten. Kein Geheimdienst auf der Welt bringt irgend jemanden unter, ohne ihm genau vorzuschreiben, was geht und was nicht geht. So etwas wäre für mich schlicht unvorstellbar gewesen.

Denn ich wollte raus aus diesem Zusammenhang und raus aus dieser Fremdbestimmung. Da hätte ich eine andere Art von Fremdbestimmung schlechterdings nicht hinnehmen können.

Ist Susanne Albrecht etwa zur selben Zeit ausgestiegen wie du?

Ja, das war eigentlich ein fast paralleler Prozeß, bei Susanne setzte er noch ein bißchen früher ein, nach der Erschießung des Bankiers Jürgen Ponto, der ja eigentlich entführt werden sollte. Sie war ja mit der Familie Ponto persönlich bekannt und war von der Gruppe enorm unter Druck gesetzt worden, dies auszunutzen und die Türöffnerin zu spielen, was sie absolut nicht wollte.

Danach ist sie regelrecht zusammengebrochen, und das Mißtrauen der Gruppe wurde ihr gegenüber so manifest, daß sie bei irgendwelchen Geschichten gar nicht mehr eingesetzt wurde. Wenn ich in Europa geblieben wäre, wäre das bei mir mit Sicherheit auch so gewesen, aber ich war damals ja anderthalb Jahre in halber Gefangenschaft im Jemen. Insofern stand das bei mir überhaupt nicht zur Debatte. Ich denke allerdings, daß mich die Gruppe als den Gefährlicheren - in Anführungsstrichen - eingeschätzt hat, wegen meines Wissens. „Die DDR ist über

ihren Generalstaatsanwalt

gewarnt worden“

Hältst du den Aufenthalt im Naturschutzreservat DDR für eine mögliche politische Lösung für RAF-Aussteiger?

Es wäre eine gewesen. Ich weiß auch nicht, warum das Wissen, das Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und andere Stellen über diese DDR-Aufenthalte offensichtlich hatten, unter dem Teppich gehalten wurde. Immerhin gab es dieses Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes, und es gab 1986 eine förmliche Anfrage an den Generalstaatsanwalt der DDR, was einer Warnung gleichkam. Man stelle sich den umgekehrten Fall vor: Die DDR wendet sich an den Generalbundesanwalt und sagt: Unser Überläufer, den wir hier mit Haftbefehl suchen, sitzt in der Nähe von Tautingen in Oberbayern. Dreimal darf man raten, was der BND in einem solchen Fall machen würde: den Mann zum Umziehen bringen, logisch. „Mit den Verhaftungen

will man von

anderen Dingen ablenken“

Wie erklärst du dir also, daß die Leute jetzt erst hopps genommen wurden?

All die Emotionen, die beim Thema RAF und Stasi hochkommen, scheinen einigen Leuten wunderbar in den Kram zu passen, um von anderen Dingen abzulenken. Bei dem Herrn Diestel liegt das auf der Hand, der war schwer angegriffen wegen seines ungeklärten Verhältnisses zur Stasi und hat nun tolle Erfolge vorzuweisen. Aber auch bei unseren Politikern liegt es auf der Hand: Zum einen wollen sie wohl von den sozialen Konflikten ablenken, die die Wiedervereinigung mit sich bringt, indem sie die Emotionen gegen ein klares Feindbild richten. Und zum anderen bemühen sich die Altparteien angesichts einer möglichen Kandidatur der PDS in ganz Deutschland anscheinend, den künftigen Feind vorab zu desavouieren.

Im übrigen ist bei der ganzen Geschichte auch eine Menge Heuchelei dabei. Zum Beispiel hat der Bundesnachrichtendienst kroatische Extremisten unterstützt, die Jugoslawiens Terroristen waren. Sie wurden hier ausgestattet, ihr hiesiger Aufenthalt wurde geduldet. Solche Geschichten sind geheimdienstübliche Praxis - weltweit und keineswegs nur im Osten. Die Leute sollten vorsichtig sein, wenn sie mit dem Finger nur auf andere zeigen - vier Finger zeigen immer zurück auf die eigene Person. „Die RAF war nie für eine

andere Organisation tätig“

Kannst du dir vorstellen, daß die DDR nicht nur Hinterland der RAF, sondern auch Operationsbasis war?

Ich kann weder daran noch überhaupt an irgendeine weitergehende Zusammenarbeit glauben. Aufgrund ihres Selbstverständnisses hat es die RAF immer abgelehnt, für eine andere Organisation tätig zu werden, auch nicht als Kompensationsgeschäft für geleistete Hilfsmaßnahmen. Daß die RAF ausgerechnet bei der Stasi eine Ausnahme gemacht hat, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die Stasi Schritte unternommen hat, die in der Konsequenz damals das eigene Land international desavouiert hätten.

Wollte die Stasi die RAF einfach nur neutralisieren?

Ja.

Und was, glaubst du, war der Preis?

Die einzelnen RAF-Mitglieder haben ihren Werdegang und ihren Anteil an der Geschichte der RAF sicherlich sehr genau schildern müssen. Aus diesen Mosaiksteinen konnte die Stasi ein gutes Bild der Gruppe gewinnen. An so etwas hat natürlich jeder Geheimdienst der Welt ein Interesse. Ich bin mir allerdings auch sehr sicher, daß die Stasi und alle östlichen Geheimdienste wesentlich mehr am Gewinn von Einflußmöglichkeiten im Nahen Osten und gegenüber den Palästinensern interessiert waren als an irgend etwas im Zusammenhang mit der RAF, die für sie ziemlich unwichtig war. Die Möglichkeit, sich bei den Palästinensern beliebt zu machen oder bei ihnen einen Gefallen gutzuhaben, das dürfte für die Stasi sehr viel interessanter gewesen sein als alles andere.

Und warum?

Ich will mal ein Beispiel nennen. Mitte der siebziger Jahre war irgendwann ein arabischer Gipfel in Damaskus geplant. Die meisten Länder im Nahen Osten neigten damals dazu, die US-amerikanischen Friedensvorschläge ohne Kritik oder Ergänzungen anzunehmen. Was passierte also? Im Tagungsort Damaskus explodierte eine Autobombe, deren Herkunft in den Irak zurückzuverfolgen war. Etwa zwei oder drei Wochen darauf flog in Bagdad der Flughafen in die Luft wegen einer Bombe, die aus Damaskus stammte. Der Araber-Gipfel fand nicht statt. So wird da Politik gemacht. Das steuern natürlich Geheimdienste. Und diese Einflußsphäre war der Stasi mit Sicherheit sehr viel wichtiger als alles, was mit der RAF zusammenhing. „Im Nahen Osten fielen

RAF-Mitglieder auf wie bunte

Hunde“

Und warum hat sich die PLO umgekehrt den Dienst der DDR ausgesucht?

Hat sie nicht. Mit den anderen Ostblockstaaten hat sie genauso zusammengearbeitet. Und mal andersrum: Für die Palästinenser war die RAF ein großes logistisches Problem. Solche Leute fallen im Nahen Osten ja auf wie die bunten Hunde. Sie können Arabisch im besten Fall radebrechen, sie sind auf den ersten Blick als Europäer und auch sehr schnell als Deutsche zu identifizieren, und zu alledem kleben ihre Konterfeis zu 99 Prozent auf den Fahndungsplakaten. Insofern lag es nahe, die RAF-Leute in einem Land unterzubringen, in dem die Sprache und die beruflichen Tätigkeiten keine Mühe machen. „Zehn Jahre Untergrund

und zehn Jahre Exil

das reicht wahrscheinlich“

Warum haben denn die ausgestiegenen RAF-Mitglieder in der DDR auf ihre Festnahme wie die Kaninchen auf die Schlange gewartet? Spätestens nach der Verhaftung von Susanne Albrecht hätten sie doch aufmerken müssen, und die Mauer ist inzwischen löchriger als ein Schweizer Käse...

Man muß bedenken, wieviel Zeit bei den einzelnen vergangen ist: bis zu zehn Jahren Untergrund, und dann nochmal zehn Jahre Exil. Das sind zwanzig Jahre Lebenszeit bei Menschen, die um die vierzig sind. Irgendwann will man auch nicht mehr Richard Kimble spielen und noch 900 weitere Folgen auf der Flucht bleiben. Und so gesehen war es vielleicht auch ein günstiger Zeitpunkt, sich zu stellen, auf diese indirekte Weise. Sie haben alle gewartet, und jeder wußte anscheinend, was das heißt. Diese Entwicklung finde ich nicht schlecht, weil sie auch die Diskussion um die Aussteiger noch einmal neu belebt und sie nahezu erzwingt.

Aber die Versprechungen des Verfassungsschutzes im Rahmen seines Aussteigerprogrammes auf faire Verfahren sind damit obsolet...

Ich finde es gerade gut, daß da nicht unter dem Teppich von irgendeinem Geheimdienst gemauschelt werden kann. Die Frage stellt sich jetzt politisch. Wenn der Verfassungsschutz ein solches Programm aufgestellt hat, dann hat er das nicht ohne politische Rückendeckung getan, und die Frage ist, ob dieser politische Wille jetzt noch existiert. Natürlich werden die Leute ihre Verfahren bekommen. Aber der Anklagepunkt „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ wird möglicherweise wegen Verjährung nach zehn Jahren wegfallen müssen. Und das bedeutet: Einzelnachweis bei allen vorgeworfenen Taten, keine Pauschalurteile mehr nach dem Motto: Als Mitglied einer terroristischen Vereinigung haben sie sowieso über alle Pläne und Anschläge Bescheid gewußt. „Fingerabdrücke sind noch

lange kein Beweis“

Sind die jetzigen Ereignisse also auch eine Chance?

Ich glaube schon. Wenn sich die jetzige Aufregung gelegt hat, wird es hoffentlich schwerer werden, diese Aussteiger als die wilden, mordgierigen Tiere darzustellen. So wurden ja die RAF-Prozesse der Vergangenheit geführt. Prozesse, bei denen oft aus einem Fingerabdruck eine Mordbeteiligung konstruiert wurde. Mit so etwas hatte ja auch ich in meinem Verfahren zu kämpfen. Natürlich sind Leute, die in der Gruppe waren, aber nicht mehr an Aktionen teilnehmen durften, für irgendwelche logistischen Dinge herangezogen worden - zum Beispiel, um Waffen oder Pässe oder Munition für ein Depot zu verpacken.

Und wenn diese Waffen vier, fünf Jahre später für irgendwas benutzt werden und dann ein Fingerabdruck gefunden wird, bedeutet das noch lange nicht, daß diejenige Person an der Aktion auch beteiligt war, und genausowenig, daß sie davon etwas wußte - eben weil sie zur fraglichen Zeit in der DDR war.

Das Gespräch führte Ute Scheub