Sanierungswettlauf in der DDR

Initiativen, der Westberliner Senat und Immobilienfirmen in den Startlöchern / Behörden unter Erfolgsdruck / 25 Millionen für den Erhalt der Innenstädte / Zusammenarbeit mit den staatlichen Kommunalen Wohnungsverwaltungen / Selbsthilfegruppen fühlen sich ausgebootet  ■  Aus Berlin Eva Schweitzer

Berlin, Alexanderplatz: Schwarz und grau blättert die Fassade des niedrigen alten Hauses in der Ostberliner Stadtmitte. „Was der Krieg verschonte, überlebt im Sozialismus nicht“ steht in roter Tünche über der vernagelten Ladenwohnung. Der Abrißbagger riß große Lücken in das ehemalige Scheunenviertel, das zu den ältesten erhaltenen Ensembles in ganz Berlin gehört. Mulackstraße, Steinstraße, Gipsstraße - hier lebten bis 1938 vor allem jüdische Bürger, Ostjuden aus Galizien und Rußland. Jetzt wohnt hier fast niemand mehr.

Potsdam, Holländerviertel: Hinter der Peter- und Paulskirche im Brandenburger Barock-Stil liegt das Holländerviertel aus der Zeit des preußischen Soldatenkönigs FriedrichI. Die ehemals schmucken zweistöckigen roten Backsteinbauten verfielen jahrelang und stehen größtenteils leer. Auch im Berliner Vorort Potsdam hat der Plattenneubau zugeschlagen. Und während die Potsdamer Hauptstraße, „Broadway“ genannt, herausgeputzt wurde, blieben die anderen Gebäude innerhalb des barocken Stadtrings grau und trostlos, die Läden stehen leer.

West-Geld und West-Material

Nicht viel besser sieht es anderswo aus, etwa am Prenzlauer Berg, wo das alternative Herz Ost-Berlins schlägt. Hier gründeten sich Initiativen, Vereine, Bürgerläden und Szenekneipen, die sich erstmals zu Wort meldeten, als sie vor zwei Jahren den Flächenabriß der dortigen Rykestraße verhinderten.

Das Versagen der aufgeblähten VEB Bau- und Verwaltungskombinate ist nun offenkundig, vor allem das der allmächtigen KWVs, der „Kommunalen Wohnungsverwaltungen“, die über die Hälfte der Wohnungen in Ost-Berlin verwalten. Das Geld drüben wurde jahrzehntelang fast nur in den Plattenneubau gesteckt. Dazu kommt, daß in der Verwaltung der DDR seit dem Umbruch im November die Konfusion die Überhand gewann. Die meisten Bauarbeiter aus Thüringen und Sachsen kehrten der ungeliebten Hauptstadt den Rücken, so daß in Berlin jetzt faktisch ein Abrißstopp herrscht. Das heißt aber noch lange nicht, daß saniert wird. Zwischen 25.000 und 40.000 Wohnungen in Ost-Berlin stehen leer, die meisten sind baufällig.

In dieses Vakuum stieß Anfang des Jahres eine Gruppe aus Westberliner StadtplanerInnen und ehemaligen HausbesetzerInnen, die mit Entsetzen sahen, wie man denkmalwürdige Gebäude verfallen ließ, während im Land Wohnungsnot herrscht. Kurzerhand packten sie einen LKW voller Baumaterial und fuhren, gut 20 Mann und Frau hoch, in das Holländerviertel der alten Garnisonsstadt Potsdam. Gemeinsam mit der dortigen Stadtplanergruppe „Argus“ und den Grünen dichteten die Westler leere Fensterhöhlen mit Folie ab, flickten Löcher in den Dächern und sicherten angefaulte Böden und Decken. „Das hat vor allem Spaß gemacht“, meint eine Frau aus der Gruppe.

Etwa gleichzeitig dämmerte es dem Westberliner Senat, daß drüben Lorbeeren zu holen sind. Der Westberliner Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) zauberte ein Soforthilfeprogramm aus dem Hut: 25 Millionen West-Mark sollten nach Berlin-Mitte und in den Prenzlauer Berg fließen, selbstverständlich in Absprache mit den dortigen Initiativen, modellhaft, neue Strukturen schaffend und als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht, etwa für Bauhöfe und Beratungsläden.

Scheunenviertel zwischen

Staat und Initiativen

Bei den Initiativen drüben brach ein unwahrscheinliches Chaos aus. 25 Millionen sind eine Menge Geld für Leute, die um jeden Holzbalken kämpfen müssen, aber wie kommt man da dran? Eine Projektkommission wurde gebildet, in der Vertreter des Bausenators, der Initiativen, der Ostberliner Bauakademie, des Bauministeriums, des Magistrats und der bezirklichen KWVs saßen. Die witterten nun Morgenluft und sahen die 25 Millionen als Chance, manch liegengebliebenes Bauvorhaben wieder flottzukriegen und so ihren ramponierten Ruf als schwerfälliger Bürokratenhaufen aufzupolieren.

Die Selbsthilfetruppe blieb derweil nicht untätig. Eine zweite Aktion fand Mitte Februar im Scheunenviertel statt. Mit viel Elan wurden die Häuser aus den Jahren 1830 bis 1950 winterfest gemacht. Die Westler richteten einen Bauhof mit Material ein. In der DDR ist jede Steckdose Mangelware, von Bohr- oder Schleifmaschinen ganz zu schweigen. Um einen Lichtschalter oder einen Wasserhahn zu kaufen, braucht man die Genehmigung der KWV, und die wurde für das Scheunenviertel nicht erteilt, denn offiziell standen die Signale ja noch auf Abriß.

Beim Bausenator will man rasch Erfolge sehen. 43 Häuser in Ost-Berlin wurden ausgeguckt, die DeGeWo, ein großes landeseigenes Unternehmen, mit dem die KWV naturgemäß weniger Berührungsängste hat als mit den Initiativen, wurde beauftragt, mit drei Häusern der KWV Berlin-Mitte anzufangen. Der Westen bezahlt das Material, der Osten stellt die Arbeitskräfte. Doch, doch, dem Selbsthilfegedanken gegenüber sei man aufgeschlossen, man werde diese jungen Leute in das DeGeWo-Konzept integrieren, falls sie da reinpassen, versicherte Direktor Peters von der KWV Mitte.

KWV und Ost-Behörden sind sichtlich dankbar für die Schützenhilfe aus dem Westen. Auch der Partei des Bausenators steht die landeseigene DeGeWo näher als andere Träger, die sich ebenfalls um Häuser bemühen, etwa die Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. Bei den Objekten, die von der DeGeWo betreut werden, wurden schon die Öfen herausgeschlagen.

Im Falle der Häuser, für die andere Träger mit den Bürgerinitiativen Konzepte erarbeiten, flutscht es nicht so schnell, da wird noch geprüft. „Eine Zusage, daß eine Sanierung bezahlt wird, hat noch niemand“, sagt S.T.E.R.N. -Mitarbeiter Schermeier. „Die KWV saniert sich, und uns läßt sie links liegen“, empörte sich Reinhardt Miottke von der Bürgerinitiative Scheunenviertel. Übrigens saniert die DeGeWo inzwischen auch in Potsdam, dort allerdings mit eigenen Geldern.

Konkurrenz durch Baulöwen

Die westlichen Behörden stehen unter Druck, rasch Vorzeigbares zu produzieren, denn es machen sich zunehmend große westliche Immobilienfirmen auf dem Markt drüben breit. Im Vergleich dazu ist die DeGeWo entschieden das kleinere Übel. Die derzeit legale Methode ist, gemeinsam mit einer DDR-Firma, naheliegenderweise der entsprechenden KWV, einen Joint-venture-Vertrag zu schließen, Material, Pläne, Bauleitungen und Know-how zu liefern, während die andere Seite preiswert das Grundstück stellt. Dann kann man mit großer Wahrscheinlichhkeit darauf hoffen, daß sich das Ganze irgendwann rentiert.

Nahezu jede größere Immobilienfirma im Westen hat ihren Fuß im Ost-Geschäft, angefangen von der Klingbeil-Gruppe, Berlins größter Baufirma, bis hin zur berüchtigten Data Domizil, die gleich sämtliche KWV-Häuser am Prenzlauer Berg übernehmen wollte, freilich erfolglos. Dies alles läuft unkontrolliert vom Westberliner Senat ab, der dafür nicht zuständig ist. Die zuständige Verwaltung und die KWV im Osten hingegen sind vom Verhandlungsgeschick der westlichen Baulöwen überfordert. Auch das hat nicht dazu beigetragen, den Initiativen das Vertrauen in ihre Behörden wiederzubringen, zumal die gleiche KWV, die mit der Klingbeil-Gruppe über Millionenprojekte verhandelt, den Initiativen mitteilt, man verkaufe „prinzipiell kein Volkseigentum“.

„Die KWV verschleiert alles und behindert uns“, schimpft Miottke. Aber auch die Senatsbauverwaltung bekommt ihr Fett ab. „Wir haben das Gefühl, wir werden ständig unterlaufen“, klagt der BI-Sprecher weiter. So gehe Nagel an die Presse und stelle Absprachen mit den BIs vor, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht getroffen worden seien. „Unsere Behörden sind sehr geschickt, Argumente zu finden gegen Konzepte der BIs, in die KWV haben sie viel mehr Vertrauen“, meint auch Volker Härtig, Ex-Besetzer und westlicher Bauhelfer.

Unterstützungsaktionen der West-Helfer in Ost-Berlin finden nun erst mal nicht mehr statt. Zwar gibt es inzwischen einen Verein und ein Spendenkonto mit 15.000 West-Mark, aber „verglichen mit den 25 Millionen ist das natürlich bescheiden“, räumt Härtig ein. Und: „Die Aktionen hatten eher eine symbolische und ideelle Funktion.“