„Wir müssen auf die Industrie achten“

Der Westberliner Finanzsenator Norbert Meisner (SPD) über die Zukunft der Berlin- und der DDR-Förderung  ■ I N T E R V I E W

taz: Nach den Politikern halten jetzt auch Wirtschaftswissenschaftler die Berlinförderung für überholt und fordern ihre Kürzung, um mit den Mitteln die DDR -Wirtschaft aufzubauen. Muß man da nicht zumindest über teilweise Kürzungen nachdenken?

Norbert Meisner: Wenn den Leuten zur Finanzierung der Lasten, die jetzt in der DDR zu tragen sind, nichts anderes einfällt als die Berlinförderung, dann haben sie wohl überhaupt nicht mitbekommen, daß die Abrüstung in Europa eine Halbierung der Bundeswehr erlaubt. Das bringt ein immenses Einsparungspotential. Zweitens denkt niemand an Steuern als Finanzierungsquelle. Die Wiedervereinigung soll die Bundesbürger offensichtlich nichts kosten.

Können Sie sich überhaupt Änderungen bei der Berlinförderung vorstellen?

Wenn etwas verändert wird, dann muß das schrittweise geschehen. Die Westberliner Industrie war bisher auf Fernabsatz eingestellt. Wenn Sie die Berlinförderung streichen, nehmen Sie den Betrieben den Anreiz weg, der sie aus der Bundesrepublik nach Berlin gelockt hat, um hier zu produzieren und beispielsweise nach Stuttgart zu liefern. Die Betriebe brechen zusammen oder verlagern ihren Sitz. Wir müssen daran denken, daß wir schon jetzt 100.000 Arbeitslose in der Stadt haben.

Inwiefern ist in dieser Situation eine Arbeitnehmerzulage überhaupt noch gerechtfertigt? Muß man bei dem enormen Zustrom von Aus- und Übersiedlern noch mehr Arbeitskräfte nach Berlin locken?

Wir wollen nicht noch mehr Leute nach Berlin locken, sondern diejenigen in Berlin halten, die hier arbeiten. Wir liegen bei den Löhnen außerdem hinter München und Hamburg.

Es wäre doch unsinnig, den Standort Berlin zu verlassen, der sich ja eindeutig zur Ost-West-Drehscheibe entwickeln wird?

Deswegen muß aber der Produktionsstandort nicht in Berlin sein. Wir müssen darauf achten, daß wir in Berlin auch Industrie haben, nicht nur Verwaltung. Auch der Dienstleistungssektor kann sich hier nur in Anlehnung an die Industrie entwickeln.

Insbesondere die Herstellerpräferenz ist unter Beschuß geraten. Wird nicht tatsächlich in Zukunft eine gewaltige Nachfrage aus der DDR nach Berliner Produkten entstehen?

Der Export aus Berlin in die DDR ist seit der Öffnung der Mauer kaum gewachsen. In Berlin erlebt bislang nur der Einzelhandel eine rege Nachfrage aus der DDR. Gekauft werden da Produkte, die irgendwo in der Welt hergestellt wurden, zum Beispiel japanische Transistorradios. Daß Westberliner Firmen sich schon einen Markt in der DDR erschlossen haben, kann ich nicht sagen. Es hat sich an der wirtschaftlichen Situation in der DDR ja noch nichts geändert. Die haben nicht das Geld, um bei uns einzukaufen.

Mit der Währungsunion könnte sich das innerhalb weniger Monaten ändern.

Nein, das wird einige Zeit brauchen. Die DDR muß sich das Geld erst erarbeiten. Die müssen sich erst eine eigene Industrie aufbauen. Da werden demnächst Entlassungen vorgenommen, die DDR-Industrie ist doch zum überwiegenden Teil nicht konkurrenzfähig. Das ist die Situation um Berlin herum. Da wimmelt es nicht von blühenden Betrieben, die auf dem Westberliner Markt als Nachfrager auftreten.

Welche langfristige Perspektive sehen Sie für die Berlinförderung?

Ein sofortiger Wegfall ist schon deshalb undenkbar, weil es mit Sicherheit demnächst ein DDR-Förderungsgesetz geben wird. Wenn um uns herum aber bestimmte Förderbedingungen für Investitionen und Löhne gelten, können wir darauf in West -Berlin nicht verzichten. Wir müssen daher ein gemeinsames Konzept für die Berlin- und die DDR-Förderung erarbeiten. Das ist auch Aufgabe der Berliner Wirtschafts- und Finanzverwaltung. Wir gehen dabei davon aus, daß sich das Instrumentarium der Berlinförderung bewährt hat und müssen sehen, was wir davon in DDR übertragen können. Daß es dann noch Besonderheiten nur für West-Berlin geben wird, kann ich mir kaum vorstellen.

Für so ein gemeinsames Konzept bleibt nicht mehr viel Zeit. Wie weit sind Sie mit Ihren Überlegungen?

Wir sind dabei, Vorschläge zu erarbeiten. Meines Erachtens muß das Förderprogramm mit der Währungsunion stehen - also Mitte des Jahres.

Interview: Katja Rietzler