Kaufkraft entspricht Produktivität

■ DGB: Umstellungskurs unterhalb von 1:1 für DDR-Löhne und -Gehälter ist wirtschaftlich unsinnig

Berlin (taz) - Als „unverzichtbar“ hat Werner Milert, DDR -Experte des Deutschen Gewerkschaftsbundes, einen Umstellungskurs von 1:1 bei Löhnen und Gehältern bezeichnet. Liege das Verhältnis schlechter, werde mit der Währungsunion „der Gehalts- und Lohnabstand zur Bundesrepublik unerträglich hoch“, sagte Milert zur taz. Gefordert sei jetzt nicht, die Kaufkraft zu senken, sondern sie zu erhöhen.

Am Montag hatten Bundeswirtschaftsminister Haussmann und FDP-Chef Graf Lambsdorff vor einem Kurs von 1:1 gewarnt, weil die DDR-Betriebe durch zu hohe Lohnkosten gefährdet werden könnten und auch deren Schulden im gleichen Verhältnis umgestellt werden müßten. Nach dem Vorschlag der Liberalen würde ein DDR-Arbeiter, der jetzt noch 1.300 DDR -Mark brutto erhält, fortan nicht mit 1.300 DM bezahlt, sondern deutlich schlechter. Käme es tatsächlich zu dem gelegentlich diskutierten Umstellungskurs von 1:2, blieben nur noch 650 DM in der Lohntüte, aber auch mit einem Nenner von „nur“ 1,5 bliebe die Differenz exorbitant.

Zu vermuten ist deshalb, daß nicht nur die Abwanderungsbewegung in den Westen noch einmal deutlich zunehmen wird, weil in der BRD noch die allermieseste Arbeit besser bezahlt würde als in der DDR - ob der erwartete Preisanstieg durch den Subventionsabbau durch neue Sozialleistungen aufgefangen werden kann, ist derzeit noch völlig unklar. Zum anderen dürfte auch eine Welle von Lohnkämpfen zu erwarten sein, die, weil irregulär, die erhoffte wirtschaftliche Stabilität gleich in Frage stellen würde.

Denn reguläre Tarifauseinandersetzungen sind für die kommenden Monate noch nicht zu erwarten: Der FDGB zeigt sich bislang wenig reformfreudig und steckt damit weiter in seinen Legitimationsproblemen, während der Aufbau der Einzelgewerkschaften nur sehr langsam vonstatten geht.

Auf der anderen Seite hat die DDR zwar schon ihre Unternehmerorganisation, aber ein Arbeitgeberverband, der auch die großen Kombinate umfassen muß, ist weit und breit noch nicht in Sicht.

Werden DDR-Betriebe in die Pleite gedrängt, wenn die Einkommen der Beschäftigten 1:1 umgestellt werden? „Das Wettbewerbsargument ist nicht zwingend“, sagt Hans-Peter Fröhlich, DDR-Experte des industrienahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Innerhalb weniger Monate werde sich die Produktivität auch durch eine neue Arbeitsmotivation rasant verbessern, auch wenn sie das Westniveau einstweilen nicht erreichen wird. Der Blick auf die derzeitige miserable Lage sei falsch, findert auch DGB -Mann Milert: „Verbesserungen bei der Materialversorgung führen schnell zu kürzeren Stillstandszeiten, und kurz- bis mittelfristig wird auch eine neue Arbeitsorganisation zu beachtlicher Steigerung führen.“

Mit einigen anderen Wirtschaftsforschungsinstituten ist sich das IW einig, daß bei einer Umstellung 1:1 das Lohn und Kaufkraftgefälle weiterhin dem Produktivitätsgefälle entsprechen würde. Das heißt, daß sowohl Kaufkraft wie Produktivität bei jeweils 40 Prozent der BRD-Werte liegen. Werden nun Löhne und Kaufkraft auf 30 oder gar 20 Prozent gesenkt, während die Produktivität - jedenfalls bei den überlebensfähigen Betrieben - steigt, können die Lohnempfänger um so weniger ausgeben - nicht nur das Angebot, sondern auch die Nachfrage käme dann aus der BRD.

Aber auch der „vergangenheitsbezogene Kaufkraftvergleich“ ist umstritten. Er fuße auf Daten, die weit vor dem 9. November erhoben worden seien, macht Milert geltend. Schon jetzt habe der neue Import von West-Waren zu einer neuerlichen Verzerrung der Ost-West-Relationen geführt. Aber auch vorher seien die Daten wenig brauchbar gewesen: So seien die Güter, die West- oder Ostarbeiter für einen vergleichbaren Betrag haben kaufen können, gleichgesetzt worden, ohne auch die Qualitätsunterschiede zu berücksichtigen - Radiogeräte (Ost) seien mit Radiogeräten (West) gleichgesetzt worden. Auch hier seien also die DDR -Beschäftigten benachteiligt.

diba