Pattex an der Kelle eines Brettlegers

Deutsche Hockeymeisterschaft in der Halle: Die Youngsters aus Limburg entzaubern den Europameister Köln  ■  Aus Limburg Mathias Bröckers

Der Junge spielt, als hätte er Pattex an der Kelle: Ob er nun sprintet oder Haken schlägt, auf engstem Raum dribbelt oder mit raumgreifenden Schritten in den Schußkreis kurvt, die 200 Gramm schwere Kunstoffkugel scheint an seinem Schläger zu kleben.

Aber dann plötzlich ist sie verschwunden - nicht an eines der gegnerischen Hölzer, die wie wild danach stochern, sondern im Netz. Es sei denn, einem Verteidiger gelingt es noch, schnell einen Fuß dazwischen zu schieben. Dann gibt es Freistoß, und das Spielchen geht von vorne los: Er führt den Ball, und kommt kein Fuß oder Foul, dann folgt mit ziemlicher Sicherheit ein Tor.

Die Rede ist von Stefan Saliger (22), der am Wochenende für den Limburger Hockey Club (LHC) beim 7:6 gegen Köln die Deutsche Meisterschaft im Hallenhockey gewann. Es gibt keine Einzelmeisterschaften im Hockey, und doch kann man Saliger diesen Titel zusprechen: In der diesjährigen Endrunde ließ er die routinierten Nationalspieler von Rot-Weiss Köln und vom Berliner HC reihenweise stehen wie weiland Gustav Thöni die Slalomstangen: geknickt.

Hallenhockey, so Paul Lissek, Trainer des LHC (sowie der Damen-Nationalmannschaft), ist eine „ganz eigenständige Sportart“. Wie beim Hallenhandball, der das langweilige Mittelfeld auf dem Rasen überbrückt, sind beim Hockey vor allem zwei Spielertypen gefragt: Techniker und Kunstschützen. Der Berliner HC, Spitzenreiter der Bundesliga Gruppe Nord, hatte deren mindestens drei, doch die kamen im Halbfinale gegen Limburg mit ihrer Solisten-Kunst nicht recht zum Zuge: Nach 14 Minuten und 0:3 Rückstand entwickelten die Hessen beim Forechecking das nötige Gift, und die Berliner Abgaben landeten immer häufiger an Limburger Schlägern - den Rest besorgte dann Stefan Saliger.

Fünfmal traf er selbst, und mindestens genauso oft waren seinen Wirbeln im Schußkreis nur per Fuß Einhalt zu gebieten. Da im Hockey eine Ecke tatsächlich noch ein halbes Tor bedeutet, stand es am Ende 10:8 für Limburg.

Im zweiten Halbfinale setzte sich der Titelverteidiger und Europameister Rot-Weiss Köln knapp gegen Mühlheim durch und mußte am Sonntag dann quasi zu einem Auswärtsspiel antreten: Die Ballsporthalle in Frankfurt-Hoechst war zum Finale akustisch und grün-weiß fest in Limburger Hand.

Auf den zweiten Platz der Süd-Bundesliga war der LHC nur dank eines Kantersiegs über Heidelberg gekommen, mit dem am letzten Spieltag das Torverhältnis um ganze 20 Zähler verbessert wurde - im Finale am Sonntag spielte man mit derselben Taktik: den Gegner schon am eigenen Tor so massiv zu stören, daß die Pässe erst gar nicht ankommen.

Ihre wirkungsvolle Defensiv-Technik hat den Limburgern in der Vergangenheit den Ruf als destruktive „Brettleger“ eingebracht, tatsächlich spielen nahezu alle Mannschaften mittlerweile mit Finger-Schützern, um so nicht nur das gebogene Ende, sondern die gesamte Fläche des Hockeystocks zur Abwehr einsetzen zu können.

Auch den Mannen von Rot-Weiss, mit einem halben Dutzend Nationalspielern, darunter Volker Fried mit allein 215 Länderspielen, sind die Abwehrvorzüge des gelegten Bretts und die Möglichkeiten, den dabei arg gebückten Gegner zu umspielen, nicht unbekannt. Einfach drüber zu lupfen, also „hoch“ zu spielen, ist im Hallenhockey verboten. Da bleibt nur flache Paß, ein Billardstoß über die Bande oder ein Dribbling, bei dem der Ball ebenfalls nicht hoch springen darf.

Wie aber Dribbeln, wenn von zwei oder drei Seiten hölzerne Kellen nach der Kugel haschen? Der Schläger wird so gedreht, daß er den Ball vor den gegnerischen Hölzern schützt, auf den Stock zu schlagen ist verboten, und so kann sich ein Angreifer durchfummeln, wenn er seine Kelle nur schnell genug vor die des zuschlagenden Gegners bringt. Stefan Saligers Kelle dreht sich so schnell, als hätte er einen Igel dabei - und da er noch läuft wie ein Hase, hatte der Favorit Rot-Weiss Köln am Ende des hochklassigen Finales mit 7:6 das Nachsehen.

Gäbe es noch einen zweiten Einzeltitel bei dieser Endrunde, er gebührte dem Limburger Torwart Armin Krauth, der seinen Strafraum mit den Füßen beherrschte und mit allgegenwärtigen Händen die rheinischen Eckenschützen zur Verzweiflung brachte. Verdient gewonnen aber hat den Titel die gesamte Mannschaft, nicht nur wegen ihres coolen Keepers und über eines maradona-artigen Ballkünstlers, sondern als beherztes, taktisch kluges Team, die es mit diesem Sieg vor allem der prominenten Frankfurter Konkurrenz gezeigt hat.

Nach dem ersten Titelgewinn in der Halle 1985 gab es vor drei Jahren im Limburger Hockey Club den großen Knall: Weil ihr ohne Absprache der neue Trainer Paul Lissek vor die Nase gesetzt wurde, wanderte nahezu die gesamte Mannschaft, darunter Superstar Stefan Blöcher und weitere Nationalspieler, verärgert zum SC 1880 Frankfurt ab. Der neue Trainer begann mit der als „Lissek-Buben“ verlachten A -Jugend die Bundesliga-Arbeit und hatte aus dem Stand Erfolg.

Schon im Vorjahr erreichte man die Endrunde, dieses Jahr nun den Meistertitel. Aus der Buben-Mannschaft ohne Stars ist ein Spitzenteam mit einem Weltklasse-Mann geworden, bester Beweis ist der 2:2 Ausgleichstreffer im Finale gegen Köln: Er wurde vom kleinen Bruder des Berichterstatters erzielt, der eigentlich in der Abwehr spielt. Doch die konnte in der 24. Minute ruhig vernachlässigt werden: „Sali“ hatte am rechten Flügel gerade wieder einmal drei Mann schwindlig gespielt.