Treuhandanstalt - faktischer Gesamtkapitalist

Wem soll künftig das Betriebsvermögen in der DDR gehören? / Treuhandanstalt muß nun alles „zum Wohle der Allgemeinheit“ verwalten / Privatisierungen und anderweitiger Verkauf geht aber nur aufgrund von Gesetzen / Vorläufig noch alle Vereinbarungen unter Vorbehalt  ■  Von Ulli Kulke

In diesen bewegten Wochen, da alles im Fluß ist, freut sich der Zeitgenosse doch über jedweden Markstein, der ihm die Orientierung ein wenig erleichtert. Zum Beispiel bei der Frage: Wann genau hat, bitte schön, in der DDR der Sozialismus aufgehört? In bürokratisch ordentlich geführten Staatswesen mit Bahnsteigkarten und dergleichen steht so etwas im Gesetzblatt. Und da wurde am 1. März 1990 dem Sozialismus der Grundpfeiler entzogen, genauer gesagt dem verfassungsmäßig verankerten Volkseigentum. „Betriebe sind in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder in eine Aktiengesellschaft (AG) umzuwandeln.“ Diese Regierungsverordnung gilt „für Volkseigene Kombinate, Betriebe sowie sonstige, im Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragene Wirtschaftseinheiten„; allerdings „nicht für die Post, die Eisenbahn, die Verwaltung der Wasserstraßen und des öffentlichen Straßennetzes„; so weit geht der Kapitalismus - noch - nicht. Beschlossen und verkündet im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik am 8. März 1990. Und nun?

Ab in die Südsee

Phantasievolle Menschen träumen davon, den Laden am Stück zu verhökern. 'Die andere Zeitung‘ hat bereits alles durchgerechnet und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß für jeden DDR-Bürger 676.110 D-Mark herauskommen, wenn das ganze Territorium veräußert wird: Damit könnte er auf Lebenszeit irgendwo in der Südsee in behagliches Leben führen.“ Na bitte! Doch abgesehen davon, daß dann die Pazifikinseln auf einen Schlag die neunfache Bevölkerung zu ertragen hätten, sollen doch jetzt auch alle im Lande bleiben. Und dort gibt es schließlich auch Kaufwillige, die nun mitmarschieren wollen beim Monopoly-Spielen. Bisweilen sehr kompetente Menschen: Jörg Teich, Direktor des Volkseigenen Betriebes Apag, will seinen Startvorteil nicht ungenutzt lassen auf dem Weg zur „Schloßallee“. Er beantragte beim zuständigen Rat der Stadt Potsdam die Genehmigung zum Kauf „seines“ Betriebes, also schlicht das, was in der kapitalistischen Welt als management buyout für so manche Schlagzeilen gesorgt hat. Bei der Staatsbank wollte sich Teich auch gleich die nötigen Mittel besorgen. Doch mit dem Hinweis: „Es gibt keine Vorschriften“, wurde der Hecht in diesem Jungkarpfenteich des Kapitalismus vorerst noch gestoppt. Das Beispiel Polen, wo sich Chefs von ehemals volkseigenem Vermögen trickreich alles unter den Nagel gerissen haben, mahnt hier auch zur Vorsicht.

Aber auch gemeinschaftsverträglichere Vorschläge können vorerst noch nicht realisiert werden. Andreas Montag, 35jähriger Generaldirektor des Kombinats Keramische Werke Hermsdorf, will seinen Betrieb in Form von Aktien an die Belegschaft, andere DDR-Bürger und auch internationale Anleger veräußert wissen: Als AG soll das Kombinat in die Funktion einer Holding überführt werden, und die einzelnen Teilbetriebe sollen entweder auch als AGs oder als GmbHs weiterlaufen. Der Verkaufserlös geht nach Montags Vorstellung teils als Kapital in den Betrieb, teils an den Staat. Derweil sitzt bereits die Unternehmensberatungsfirma Kienbaum in der Keramikfabrik, um zu prüfen, was wieviel oder besser: was überhaupt noch etwas - Wert ist. Die Deutsche Bank, die nun Montags Konzern als ersten aus der Hinterlassenschaft des SED-Wirtschaftslenkers Mittag an die Börse bringen will, ist hier auf akurate Wertermittlung erpicht, wenn sie den Börsianern als Pionier dieses Neuland erschließt.

Obwohl die Nutzungsdauer in den DDR-Betrieben mit 15 Jahren buchhalterisch doppelt so hoch angesetzt ist, dürfte gleichwohl ein großer Teil des DDR-Maschinenparks abgeschrieben sein, nicht selten doppelt und dreifach.

Ominöser Wertzuwachs

Das mußte sich aber noch lange nicht in den Kombinatsbüchern niederschlagen, in denen fünf noch immer gerade waren. Da ist dann schon mal Vorkriegsgerät höher als der einstige Anschaffungspreis bewertet. Anstatt eines solch denkwürdigen Wertzuwachses dürfte hier höchstens noch die berühmte symbolische Mark verbucht sein.

Doch dann stellt sich sogleich die Frage, ob die Besitzübertragung von Betriebsvermögen überhaupt noch gegen Geld laufen kann. Albrecht Graf Matuschka, als Münchner Unternehmensberater ansonsten auf harte Preiskalkulation erpicht, will wohl auch deshalb alles zum Nulltarif verteilen: 40 Prozent der Unternehmensanteile sollen an die Bevölkerung verschenkt werden, neun Prozent an die jeweiligen Belegschaften, und der Rest solle beim Staat verbleiben und durch regierungsbeauftragte Manager verwaltet werden. Matuschka träumt offenbar von einem großartigen Volksbildungsprogramm, ganz im Sinne seines Berufsstandes: „Mit meinem Plan ist jeder Ostdeutsche plötzlich ein Kapitalist. Er kann seine Aktien mit denen seiner Freunde zusammenschmeißen und sich damit Gelder zur Gründung eines Restaurants oder Friseursalons besorgen.“

Auch wenn die Volskammerwahlen alles andere signalisieren als Angst vor dem Ausverkauf - noch sitzt der Riegel einigermaßen fest, mit dem Ministerpräsident Modrow und seine Mannschaft die Ladentür vor den Käufermassen zuhalten. Änlaßlich der Leipziger Messe und der unglaublichen Flut von deutsch-deutschen Kooperationsvereinbarungen hatte Modrow in einem offenen Brief an alle Kombinatsdirektoren und Bezirksadministrationen verkündet, daß alle Vereinbarungen nur vorläufigen Charakter haben könnten, grundsätzlich zustimmungsbedürftig seien und deshalb mit entsprechenden Klauseln versehen sein müßten. Zur Not müsse eben nachgebessert werden. In der Tat gibt es bislang fast noch keine rechtsgültigen Kooperations- oder Übernahmeverträge.

Wenn es nach der Ost-SPD ginge, dann liefe noch viel mehr unter Vorbehalt. Sie hat Klage eingereicht gegen den Beschluß der Modrow-Regierung zur Überführung des volkseigenen Besitzes in Kapitalgeselschaften - für die Sozialdemokraten ein glatter „Verfassungsverstoß“. Anstatt erst Kapitalgesellschaften zu gründen und dann die Aktien unters Volk zu bringen, solle lieber erst privatisiert werden, und dann sollten AGs oder dergleichen entstehen. Jeder DDR-Bürger solle für 40.000 Mark Eigentum an Wohnungen und Betriebsvermögen erhalten. Die Partei beruft sich dabei auch darauf, daß am Runden Tisch Übereinstimmung darüber geherrscht habe, daß das von den Bürgern überarbeitete Eigentum und Vermögen vor fremden Zugriffen geschützt werden soll. Aber wer redet heute noch vom Runden Tisch? Gleiches gilt für den Vertreter der Bewegung Demokratie Jetzt in der Regierung Modrow, Wolfgang Ullmann, und seinen Vorschlag über „Anteilsrechte“ am Betriebsvermögen, die an die Bürger übergehen sollten. So wird es wohl sehr schnell dazu kommen, was die frühere SED- und heutige PDS-Zeitung wehmütig feststellte. Zur guten alten Zeit wäre das Begriffspaar „Millionen Werktätige“ nur im Zusammenhang mit Demonstrationen oder der Verbesserung ihrer allgemeinen Lage verwendet worden, heute schreibt sie: „Millionen Werktätige arbeiten künftig in GmbH oder AG“ - wenn das nicht das Ende des Sozialismus ist...

Immerhin hat sich drei Tage vor der Wahl die ebenfalls laut Regierungsbeschluß eingerichtete „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ (Treuhandanstalt) ihr Statut gegeben.

Daumen drauf

Das fünfköpfige Direktorium dieser Anstalt und ihr achtköpfige Verwaltungsrat: das sind nun diejenigen, die erst einmal den Daumen auf alles halten sollen. Die Anstalt ist zumindest Übergangsweise faktischer Gesamtkapitalist. Sie übernimmt alle Aktien der von VEB auf AG umgewidmeten Betriebe, entsendet infolgedessen Aufsichtsräte in die Unternehmen und soll rundum „im Interesse der Allgemeinheit“ tätig sein. Das Düsseldorfer 'Handelsblatt‘ mäkelte zwar sogleich, daß im Statut nicht der „Tatbestand der Privatisierung“ aufgenommen sei, ausgeschlossen ist er indes nicht, im Gegenteil. Die Regierungsverordnung besagt klipp und klar: „Der Verkauf von Geschäftsanteilen bzw. Aktien durch die Treuhandanstalt ist zulässig“, wobei der Gesamtkapitalist beileibe nicht nach Gutdünken verfahren kann. Jede Veräußerung muß „durch das Gesetz geregelt sein“.

Gehöriger Kuddelmuddel droht unter Umständen, wenn die Treuhandanstalt die Anteile auch zu dem Zeitpunkt noch hält, da einzelne DDR-Länder in toto „rübermachen“ und sich in die Bundesrepublik eingliedern. Wer sitzt beispielsweise im Aufsichtsrat der Eisenacher Automobilwerke, wenn Thüringen zwölftes Bundesland geworden ist? Die Treuhandanstalt, ein Erfurter Wirtschaftsminister oder gar gleich Bonn? Dieser Kuddelmuddel wäre indes symptomatisch für alle Versuche, das ehemalige Volkseigentum in der DDR irgendwelchen Instanzen oder Bevölkerungsgruppen der jetzigen Republik zu sichern. Volksbesitz kann nur erhalten werden, wenn das Volk abgrenzbar ist und bleibt. Und genau dieser Wunsch spricht nun absolut nicht aus dem Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag.