„Der Krieg ist noch lange nicht zuende“

Seit 35 Jahren kämpft der Rentner Manfred Kopp um eine Entschädigungsrente - ihm fehlen zwei Monate KZ-Haft, die Gestapo-Inhaftierung wird nicht anerkannt / Entschädigungsprozedur wie „zweite Verfolgung“ / Konfrontiert mit Richtern und Ärzten mit NS-Vergangenheit  ■  Von Bernd Siegler

Willy Brandt und Helmut Kohl sind sich einig: „Jetzt hat das Ende der Nachkriegszeit begonnen.“ Für den 71jährigen Münchener Rentner Manfred Kopp ist jedoch der Krieg „noch lange nicht aus“. Seit 35 Jahren kämpft er bislang erfolglos um eine Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Kopp ging dazu bis vor den Bundesgerichtshof, doch Behörden und Justiz stellten sich stur. Denn formal besteht ein Rentenanspruch nach dem BEG erst dann, wenn der Antragsteller wenigstens zwölf Monate in einem Konzentrationslager des Dritten Reiches inhaftiert war. Manfred Kopp fehlen dazu genau zwei Monate, mehrmonatige Inhaftierungen bei der Gestapo und in einem Strafbataillon in Afrika fallen bei dieser Aufrechnung unter den Tisch. Selbst Kopps Inhaftierung als „Politischer“ wird trotz Beweise immer wieder angezweifelt.

Am Dienstag nächster Woche, den 20.Februar, will nun die 28.Entschädigungskammer des Landgerichts München I nach neunjähriger Verfahrensdauer ein Urteil fällen.

Manfred Kopp ist für sein ganzes Leben gezeichnet. Narben im Gesicht und am Körper zeugen noch heute von den Peitschenhieben und Fußtritten im KZ. Noch immer wacht er nachts schweißgebadet auf. Kopp ist schwer geh- und sehbehindert, hat Diabetes und ein schweres Herzleiden. Täglich muß er acht verschiedene Medikamente einnehmen; drei Herzinfarkte hat er schon hinter sich. Trotzdem gibt er den nervenaufreibenden Kampf mit den Behörden nicht auf. „Ich werde mich immer rühren, denn ich bin ein konsequenter Gegner von Gewaltherrschaft und Unterdrückung.“

„Zersetzende Briefe“

im Spind gefunden

Daß bis heute Bund und Länder insgesamt über 80 Milliarden Mark an Wiedergutmachung gezahlt haben und über eine Million Antragsteller Entschädigungszahlungen erhalten haben, befriedigt Kopp nicht. Er gehört zu den 0,02 Prozent der noch unerledigten Fälle. Sein Resümee: „Für mich hat die politische Verfolgung bis heute kontinuierlich fortgedauert.“

Begonnen hat sie 1937, als Manfred Kopp gerade 18 Jahre alt war. Damals holte ihn die Gestapo wegen „Verbreitung marxistischer Tendenzen“ zum ersten Mal ab. Bei dem Wehrmachtsoldaten Kopp waren bei einer Spindkontrolle „zersetzende Briefe“ gefunden worden, die sein Verhältnis mit einem jüdischen Mädchen offenbarten. Er wurde in eine der Gestapo unterstehende Sondereinheit für „politisch Unzuverlässige“ versetzt. Als seine Einheit 1940 nach Frankreich verlegt wurde, knüpfte Kopp seine ersten Kontakte zur Resistance. Das brachte ihm Gestapo-Haft in Leipzig ein. Er wurde in eine Strafeinheit nach Frankreich versetzt. Wegen erneuter Kontakte zur französischen Widerstandsbewegung wurde Kopp im September 1940 in Calais verhaftet und in das Leipziger Polizeigefängnis gebracht.

Am 5.Dezember 1940 lieferte ihn die Gestapo ins KZ Buchenwald ein. Dort erfuhr Kopp, daß er von seinem Vater, einem Kartonagefabrikanten aus Augsburg, Abwehroffizier der Wehrmacht und Stahlhelm-Führer, denunziert worden war. Manfred Kopp stand dem Inzestverhältnis des Vaters mit Manfreds Stiefschwester im Wege.

Der Häftling mit der Nummer 594 kam in Buchenwald auf Block 36. Er erhielt den roten Winkel für die politischen Häftlinge und wurde mehrfach Folterungen unterzogen, für die SS-Oberscharführer Helmut Roscher verantwortlich war. Roscher lebt heute laut Auskunft der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen“ in Ludwigsburg als unbescholtener Bürger in Rotenburg bei Tübingen. Er war zwar 1947 vom US -Militärgericht in Dachau zum Tode verurteilt worden, die Strafe wurde aber in lebenslange Haft umgewandelt, und bereits am 4.März 1954 war Roscher wieder ein freier Mann.

Aufgrund der schweren Kopfverletzungen, die er Roschers Fußtritten „verdankte“, wurde Kopp im Februar 1941 in die Uniklinik Jena eingeliefert, dort wieder zusammengeflickt und ein Monat später erneut nach Buchenwald abtransportiert. Am 22.Mai kam er von dort ins KZ Mauthausen (Häftlingsnummer 12793). Inzwischen hatte sein Großvater, in dessen Verlag die NS-Zeitung für Schwaben gedruckt wurde, beim Gauleiter interveniert. Kopp wurde aus dem KZ entlassen und in die Strafeinheit 999 nach Afrika zur „Frontbewährung“ als Minensucher gesteckt. Nach der Kapitulation der deutschen Afrika-Armee geriet Kopp in englische Gefangenschaft ins Lager 306 am Suezkanal.

Angriffe auch im Kriegsgefangenenlager

Doch sein Martyrium war damit nicht beendet. Im diesem Lager waren nämlich Angehörige der Strafeinheit 999 zusammen mit Gefangenen der SS-Division „Prinz Eugen“ und der Fallschirmbrigade Ramcke untergebracht, also Gegner des Hitler-Regimes mit strammen Nazis, die nachts im Chor „England verrecke“ gröhlten, den Führergeburtstag feierten und nach wie vor auf den Endsieg hofften. Eine Tortur für die 999er, die als „Landesverräter“ galten. Übergriffe gegen sie waren keine Seltenheit.

Am 26.Dezember 1946 kam Kopp mit dem ersten Hospitalschiff vom ägyptischen Hafen Port Said nach Cuxhaven. Danach arbeitete er zunächst bei der US-Armee als Dolmetscher, lebte dann in Paris und London und avancierte zum erfolgreichen Wirtschaftskorrespondenten. Immer wieder mußte Kopp aber aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit unterbrechen. Zurück in Deutschland, wurde er am 5.November 1951 in einem Westberliner S-Bahnhof verhaftet. Kopp hatte gesehen, wie Beamte der DDR-Transportpolizei einen Mann mit Füßen getreten hatten und hatte deren Methoden mit denen der Nazis verglichen. Kopp wurde nach Ost-Berlin gebracht und wegen „Spionage und Boykotthetze“ zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Diese Strafe verbüßte er in Bützow-Dreibergen.

Nach seiner Entlassung kam Kopp in München als Kellner unter, bis ihm 1964 sein Arzt jede weitere Arbeit verbot. 1949 hatte er erstmals eine Entschädigung für Schaden an Körper, Gesundheit und Freiheit beantragt. Erst zwölf Jahre später, 1961, erhält er ganze 7.300 DM. 1967 kommt schließlich als Härteausgleich eine einmalige Beihilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 3.000 DM hinzu.

Nicht in allen Fällen sind die Entschädigungsbehörden so langsam und so knausrig. Als der ehemalige Bundestagspräsident Gerstenmaier 1965 eine Nachzahlung für seine durch die Nazis verhinderte (und später nachgeholte) Professur beantragte, ließ sich die Verwaltung nicht lumpen. Schon ein dreiviertel Jahr später bekam Gerstenmaier 280.000 DM zuerkannt. Dr. Hanns Eisele, KZ-Arzt in Buchenwald, war zunächst zum Tode verurteilt und 1952 begnadigt worden. Problemlos erhielt er 3.000 DM Spätheimkehrerhilfe und 25.000 DM Existenzaufbauhilfe sowie die Zulassung zum Kassenarzt. Franz Schlegelberger war ab Januar 1941 Reichsjustizminister. Schon drei Monate später rief er alle hochkarätigen Juristen nach Berlin, um sie mit der „Aktion T4“, die die Massentötung von 70.000 Menschen in der „Euthanasie“ betraf, vertraut zu machen. In den Nürnberger Juristenprozessen zu lebenslänglichen Zuchthaus verurteilt, war Schlegelberger schon 1951 wieder auf freiem Fuß, erhielt eine Pensionsnachzahlung von 160.000 DM und eine Monatspension von 2.894 DM.

Galt bei Verabschiedung des BEG 1956 noch laut Präambel der Widerstand gegen das NS-Regime als „ein Verdienst um das Wohl des Deutschen Volkes und Staates“, waren wenig später im Zuge des kalten Krieges und der Restauration die Verfolger von einst besser gestellt als die Verfolgten. Kommunisten, die nach Kriegsende weiterhin in der KPD tätig waren, wurden gar völlig aus der Entschädigung ausgegrenzt, da sie nach Paragraph 6 des BEG „nach dem 23.5.1949 die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpft“ hätten. Selbst für den Präsidenten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes (BLEA), Karl Heßdörfer, ist diese Entscheidung unverständlich. „Es ist schon Naivität anzunehmen, daß jemand, der in den Gestapokellern zwölf Jahre lang an seiner politischen Überzeugung festgehalten hat, diese nach dem Krieg der Entschädigung zuliebe aufgeben werde.“ Andere Gruppen wie die nichtjüdischen Zwangsarbeiter gingen bis heute ebenfalls leer aus.

Mit der Stimmenmehrheit der CSU Antrag abgelehnt

Auch Manfred Kopp merkte bald, daß ihm der Wind in der jungen Bundesrepublik bald ins Gesicht blasen sollte. Sowohl der Bayerische Oberste Rechnungshof als auch der Bundesrechnungshof beanstandeten seine Entschädigungszahlungen. Die gesetzlichen Voraussetzungen wären nicht erfüllt. Schon damals wurde nicht nur angezweifelt, daß Kopp tatsächlich aus politischen Gründen verfolgt worden war und daß seine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) verfolgungsbedingt ist, auch die Länge seiner Inhaftierungszeit wurde gegen ihn verwandt. Nach den Buchstaben des Gesetzes hätte er zwölf Monate im KZ sitzen müssen, damit seine MdE von Amts wegen als verfolgungsbedingt anerkannt werden kann und er einen Rentenanspruch nach dem BEG besitzt. Schon damals weigerten sich die Behörden, seine Gestapohaft und die Zeit der Strafbataillone anzurechnen. Ob Oberlandesgericht München, Bayerisches Landessozialgericht oder Bundesgerichtshof, stets lautete der Bescheid lapidar: „Die Inhaftierung in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mauthausen dauerte nicht ein Jahr.“ (BGH, Mai 1980).

Zuvor hatte Kopp sich noch einmal Hoffnungen machen können. Seine Petition hatte vom Ausschuß für Sozial-, Gesundheits und Familienpolitik des Bayerischen Landtags erstmals 1974 ein positives Votum bekommen, weitere positive folgten. Doch die Bitte des Ausschusses, dem Gesuch stattzugeben, da Kopps anderweitige Inhaftierung durchaus als KZ-ähnlich angesehen werden könne, blieb ungehört. Regierungsrat Tichy vom Finanzministerium wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, daß Kopp schon „ein bereits relativ hoher Abschlag auf seinen Freiheitsschaden gewährt worden war“. Im Juni 1981 lehnte der Sozialausschuß des Landtags mit Stimmenmehrheit der CSU Kopps Begehren ab.

Obwohl am 28.Oktober 1971 sogar das Bayerische Staatsministerium für Finanzen anerkennt, daß Kopp einer politischen Verfolgungsmaßnahme im Sinn der §1,2 BEG an ausgesetzt war, wird an anderer Stelle Kopps politische Verfolgung weiterhin bezweifelt. Am 16.April 1981 schreibt das Bayerischer Finanzministerium, daß „die vom BLEA durchgeführten Ermittlungen keine Klarheit über die Gründe der Inhaftierung bringen“ konnten. Dabei berufen sie sich auf eine Bescheinigung des Internationalen Suchdienstes Arolsen vom 3.8.49. Dort sind zwar Kopps Aufenthalte in Buchenwald und Mauthausen vermerkt, als Haftgrund ist jedoch „Wehrmachtsangehöriger“ angeführt.

Doch dieser Brief wurde geschrieben, als bereits eine detailliertere Auskunft aus Arolsen vom 28.Juli 1980 vorlag. Darin bestätigt der Suchdienst, daß Kopp als KZ-Insasse in der Kategorie „politisch, Wehrmachtsangehöriger“ geführt worden war. Im Häftlingsbogen war vermerkt „Wehrdienst -Sabotage, Politische Organisation“. Auch daß es lediglich in Dachau und in Sachsenhausen Wehrmachtsstrafeinheiten gegeben hatte, nicht aber in Buchenwald und Mauthausen, störte die Behörden nicht. In ihren Augen ist Kopp ein straffällig gewordener Wehrmachtsangehöriger.

Angesichts der klaren Aktenlage findet Kopps Rechtsanwalt Wolfgang Ploetz das Verhalten der Behörden schlichtweg „merkwürdig“.

Bei seinem langen Gang durch Gerichte, Gutachter-Institute und Behörden bleibt Manfred Kopp eine makabre Ironie der deutschen Geschichte nicht erspart. Während seiner zahlreichen Gerichtsverfahren sitzt er zwei Richtern gegenüber, die den Nazis treu gedient hatten. Der eine war ehemaliger Landgerichtsrat eines Sondergerichts, der andere Staatsanwalt am berüchtigten Volksgerichtshof des Roland Freisler. Ein vom Bayerischen Landesversorgungsamt beauftragter Gutachter entpuppte sich als ein von den Sowjets wegen Kriegsverbrechen zur Höchststrafe verurteilter und später begnadigter Professor. Ein anderer als Mitglied des Kriegsgefangenlagers 306 in Ägypten, der Kopp gegenüber damals als „fanatischer Endzeithysteriker“, als Hitler -Anhänger also, aufgetreten war.

Von der Ärzteschaft war kein Wohlwollen zu erwarten

Beide attestierten Kopp, daß keines seiner Leiden (koronare Herzerkrankung und Herzinsuffienz, schwere Diabetes etc.) „mit Wahrscheinlichkeit durch nationalsozialistische Drangsalierung oder den Wehrdienst hervorgerufen wurde“. Acht Ärzte haben das Gegenteil festgestellt, so der Internist Dr. Hildebrandt aus München im April 1989: „Die Herzerkrankung, der Hypertonus und die seelische Veränderungen stehen aus meiner Sicht im ursächlichen Zusammenhang mit dem Aufenthalt im KZ Buchenwald.“

Wie in vielen Entschädigungsverfahren kommt diesen Gutachten eine besondere Rolle zu. Der Nachweis der Kausalität von Verfolgung und Leiden wird, je weiter die Zeit fortschreitet, um so schwieriger. Hinzu kommt, daß „von der deutschen Ärztschaft, die so weitgehend nazifiziert war wie kein anderer Berufsstand, nicht zu erwarten war, daß sie den durch Verfolgung Geschädigten mit Wohlwollen und Hilfsbereitschaft entgegen kommen würden“ (Christian Pross vom Hamburger Institut für Sozialforschung). „In der Konfrontation mit den Opfern als lebendige Anklage, als Zeuge von Mord und Quälerei, leugneten deutsche Ärzte die begangenen Verbrechen.“

Ein besonderes Kapitel deutscher Vergangenheitsbewältigung ist die Tendenz vieler Ärzte, ehemalige Gegner des NS -Regimes als Psychopathen oder Querulanten abzustempeln. Auch Manfred Kopp sollte es nicht anders ergehen. In einem psychiatrischen Gutachten konstatiert Professor Avenarius von der Universität Heidelberg am 8.August 1988, daß am Beginn von Kopps „neurotischer Fehlentwicklung Geschwisterneid und Vaterablehnung“ stehe.

„Querulatorische Kampfhaltung“

Obwohl eidesstattliche Erklärungen von Lehrern Kopp als „disziplinierten, anständigen und anhänglichen“ Schüler bezeichnen, beschreibt Avenarius Kopp als Kind mit einem „schwierigen Charakter“, bei dem „schon vor dem Schulabgang abnorme Persönlichkeitszüge“ bestanden hätten. Kopp sei „aus charakterlichen Gründen gemeinschaftsunfähig“ und hätte dementsprechend Schwierigkeiten gehabt, sich in die Ordnung der Wehrmacht einzufügen. Avenarius unterstellt Kopp eine „Neigung zur dramatischen Darstellung“ und eine „querulatorische Kampfhaltung“. Immerhin kommt er zu dem Schluß, daß mehr dafür als dagegen spreche, „daß ungeachtet der Ausgangslage einer abnormen Persönlichkeit durch die verfolgungsartigen Beeinträchtigungen in der Kriegzeit eine wesentliche und richtungsgebende Verschlimmerung des schon zuvor ungünstigen seelischen Zustands eingetreten ist“. Avenarius konstatiert eine verfolgungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aus der NS-Zeit von 40 Prozent und eine 60prozentige auf internistischem Gebiet, die jedoch „keine Schädigungsfolge im Sinne des BEG“ darstelle. Kopp: „Gegen Rufmord ist kein Kraut gewachsen.“

Die letzten Briefwechsel vor dem Urteil am 20.Februar befassen sich nahezu ausschließlich mit dem Gutachten des Heidelberger Professors. Für die Bezirksfinanzdirektion ist die Expertise Wasser auf ihre Mühlen. Am 30.November 1989 schreibt sie, daß „nach wie vor ungeklärt ist, ob der Kläger nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen aus Gründen des §1 BEG ausgesetzt war“. Zwischen den Zeilen wird Kopp weiterhin als disziplinloser Wehrmachtsangehöriger geführt. Die Finanzdirektion bezweifelt gar, daß „die gesamte vom Gutachter mit 40 Prozent bewertete MdE verfolgungsbedingt“ sei. Rechtsanwalt Ploetz finden es „unverständlich, unter solchen Umständen zu dem Ergebnis zu kommen, daß hier eine Ursächlichkeit zwischen heutigem Zustand und dem Lebenslauf, also Verfolgung, nicht gegeben sei“.

Wenn Manfred Kopp heute die großspurigen Anzeigen der CSU unter dem Motto „1990 - ein gutes Jahr für Rentner“ betrachtet, vergeht ihm das Lachen. Beispielhaft hat die Landtagsdebatte Mitte Dezember den Umgang der bayerischen Regierungspartei mit den Verfolgten der NS-Diktatur aufgezeigt. Die CSU sah keine Notwendigkeit für eine Landesstiftung zur Entschädigung „von vergessenen und bislang ausgegrenzten Opfern des NS-Regimes“. Bayern habe schließlich in der Vergangenheit genug bezahlt, tönte selbstgefällig der CSU-Parlamentarier Peter Widmann. Auch alle anderen Anträge, so der nach Einrichtung eines Fonds zur Entschädigung von Zwangsarbeitern oder auf Zahlung einer Entschädigungsrente ab dem 60.Lebensjahr ohne Prüfung des Gesundheitszustandes, bügelte die CSU-Mehrheit ab.

Die Verfolgtenverbände haben aus dem restriktiven Verhalten von Bürokratie und Politik Konsequenzen gezogen. Hermann Müller, Entschädigungsexperte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), wirft den zuständigen Behörden vor, „auf die biologische Lösung, auf das Abwarten, bis die Verfolgten gestorben sind“, zu setzen. Damit dies nicht geschieht, fordert er die Abschaffung der Schlußfrist für die Einreichung von Antrag (31.12.1969). Die Vorladung zur amtsärztlichen Untersuchung müsse ebenso ersatzlos gestrichen werden, wie die Beweislast für die Verfolgten, der Ausschlußparagraph 6 für die Kommunisten sowie der Ausschluß von Zwangsarbeitern. Witwen von Verfolgten mit einem Gesundheitsschaden nach BEG müßten in Zukunft die BEG -Witwenrente ohne Einschränkung erhalten.

Um eine Lobby für die in Vergessenheit geratenen Opfer des NS-Regimes zu schaffen, eröffnen die Verfolgtenverbände mit Finanzierung durch „Aktion Sühnezeichen“ am 1.April in Köln eine Beratungs- und Informationsstelle für NS-Verfolgte (Kämmergasse 1). Damit soll versucht werden, der „zweiten Verfolgung“ (Müller) der Verfolgten endgültig ein Ende zu bereiten.