Zen oder die Kunst, Steine zu schmeißen

■ Tiefsinniges Gespräch mit Jerry McGhee aus Texas, dem Weltrekordhalter in einer auf der ganzen Welt verbreiteten Sportart: Stone-skipping / Steinewerfen im Sinne Machiavellis und im Geiste einer japanischen Teezeremonie

Wimberley (taz) - Die liebste Beschäftigung des Jerry McGhee ist es, Steine übers Wasser tanzen zu lassen. Letztes Jahr veranstaltete er im texanischen Wimberley die erste Weltmeisterschaft im „Stone-skipping“, die nach den Worten des Guinness-Co-Rekordhalters dazu dienen sollte, die älteste Freizeitbeschäftigung des Homo erectus als Alternative zu harten Sportarten wie Fußball bekannter zu machen. US-Sportmoderatoren beschreiben den 45jährigen Texaner als ewiges Kind, das auf der Suche nach dem perfekten Stein ist. Seine Philosophie: Wenn die aggressive Kraft der Steine nach und nach von der sanften Macht des Wassers verschluckt wird, entspannen sich Körper und Geist. Kindertherapeuten in den USA machen sich die besänftigende Wirkung dieses Spiels schon zunutze.

taz: Herr McGhee, zusammen mit einem Kalifornier sind Sie Rekordhalter im Stone-skipping. Dabei kommt es darauf an, wie oft der Stein auf dem Wasser auftippt, bevor er versinkt. Wo steht der Rekord?

Jerry McGhee: Offiziell bei 29mal, obwohl ich es auf 30 oder 31mal gebracht habe. Das wurde von der amerikanischen TV-Gesellschaft NBC gefilmt. Die Guinness-Leute in London wollten jedoch nur 29 gelten lassen.

Was hat Sie dazu gebracht, aus diesem harmlosen Spiel eine Sportdisziplin zu machen, mit Titelkämpfen und all dem kommerziellen Rummel, der dazugehört?

Für mich ist Stone-skipping wie eine japanische Teezeremonie. Es kommt dabei auf die Form und nicht auf das Resultat an. Wenn die aggressive Kraft des Steins nach und nach von der sanften Macht des Wassers verschluckt wird das ist Zen. Die Bewegungen, die du machst, um Steine zu suchen, sie aufzuheben und sie dann übers Wasser tanzen zu lassen, entsprechen einem T'ai-Chi-Tanz. Ganz im Sinne der Zen-Philosophie wirst du Teil dieses Spiels: Du bist der Stein.

Und trotzdem organisieren Sie eine Weltmeisterschaft und wollen Stone-skipping sogar zu einer olympischen Disziplin machen?

Ja, im Grunde bin ich gegen Wettbewerb, gegen Kommerzialisierung. Aber ich habe mich im Sinne Machiavellis für die pragmatische Lösung entschieden. Und ich glaube, es ist es wert. Denn Wettbewerb scheint nötig zu sein, um den Leuten Stone-skipping wieder nahezubringen. Zumal der Tanz der Steine nur eine Umschreibung für etwas Tieferes ist: zurück zum einfachen Leben, zurück zur Kindheit, zu den Träumen.

Wie haben Sie zu Ihren Träumen zurückgefunden?

Ich ging jeden Tag mit einem Freund an den Strand, um Steine springen zu lassen. Das war in Salvador Dalis Heimatort Cadaques an der spanisch-französischen Grenze. Nach einer Weile wurden wir zur Attraktion: Mehrere hundert Leute kamen, um zuzugucken oder mitzumachen. Damals träumten wir davon, einmal mit Stone-skipping so viel Geld verdienen zu können, daß wir davon leben könnten. Wir gingen dann getrennte Wege. Ich arbeitete als Geologe für texanische Ölfirmen. Als 1986 das Geschäft mit dem Öl ins Stocken kam, saß ich auf dem trockenen. Und dann erinnerte ich mich an unsere Träume in Spanien. Ich ließ mich von NBC filmen und wurde Co-Rekordhalter. Anschließend gründete ich in Anlehnung an die Satzung des Europäischen Fußballverbandes die Internationale Stone-skipping Federation und stellte Regeln für Wettbewerbe auf.

Wie verbinden Sie dieses kommerzielle Interesse mit Ihrer Philosophie?

Mir ist der Widerspruch bewußt. Es ist dieselbe Situation wie bei Künstlern, die ihre Kunst verkaufen müssen, um leben zu können. Die Idee, mit Steineschmeißen meinen Lebensunterhalt verdienen zu können, gefällt mir viel besser, denn als Geologe in der Erde herumwühlen zu müssen. Es stimmt, es sind kommerzielle Interessen. Aber wenn ich auf diesem Wege Dinge finanzieren kann, an die ich glaube, dann gefällt mir das. Ich bin in Kontakt mit Greenpeace, Friends of the Earth, Save the Children und Unicef.

Gibt es einen Trick, eine bestimmte Wurftechnik, um 29 Aufsetzer zu schaffen. Mir sind bisher nur etwa zehn gelungen.

Ja. Man steht aufrecht mit dem Gesicht zum Wasser. Der Körper ist etwa 45 Grad zur Seite gedreht. Bei Rechtshändern ist der linke Fuß etwas nach vorne geschoben. Das Hauptgewicht liegt auf dem rechten Fuß. Beide Arme werden wie beim Golfspiel nach hinten, der Wurfarm mit dem Stein in der Hand dann nach oben geschwungen. Beim anschließenden Rückschwung wird der Stein auf der Höhe des Schenkels mit einem Dreh losgelassen. Der Dreh ist sehr wichtig.

Ist Stone-skipping in den USA populär?

Ja, es gibt eine Reihe von Wettbewerben. Es werden auch schon künstliche Steine, zum Beispiel aus getrockneten Lehm, hergestellt. Bei dem letzten Wettbewerb traten drei Weltmeister gegeneinander an, und an der eigentlichen Veranstaltung nahmen mehrere hundert Menschen teil.

Interview: Michael Fischer