Der Höhenflug der Takako Doi

Die japanische Sozialistenchefin verkörpert im Wahlkampf die neuen Fragen der Gesellschaft - vom Rechts-links-Muster zum Mann-Frau-Konflikt  ■ P O R T R A I T

Von Ch. Yamamoto & G. Blume

Nagaoka (taz) - Ihre klare Stimme schneidet die kalte Winterluft von Nagaoka. Kein Wort zuviel, keine Geste zuwenig. Takako Doi (60), die japanische Sozialistenführerin, meistert den Moment. Ihre Persönlichkeit beherrscht den landesweiten Wahlkampf für die japanischen Unterhauswahlen am Sonntag. Ihr hört man zu, ihr schenkt man Autorität. „Ich bewundere diese Frau“, sagt ein alter Mann. Wer nicht? Takako Doi ist eben eine „tonderu woman“, eine fliegende Frau. Die Wortschöpfung galt in Japan der modernen, berufstätigen und emanzipierten Frau schlechthin.Der beflügelte Ausdruck bekam erst in den achtziger Jahren einen negativen Beigeschmack, als Medien und Politiker darauf verfielen, die zaghaften feministischen Regungen mancher Japanerinnen öffentlich zu diskreditieren. Doch Takako Doi kümmerte sich nicht um den Zeitgeist, sie flog weiter, den weiten Weg bis dahin, wo sie heute steht im Zentrum der japanischen Demokratie. Dort oben zieht sie einsame Kreise.

Takako Doi, Premierministerin? „Nein, das ist wohl noch zu früh. Wir leben ja weiterhin in einer von Männern dominierten Gesellschaft.“ Das entgegnet eine 51jährige Hausfrau in Nagaoka, der ländlich-konservativen Regierungshochburg in Nordjapan. „Dazu fähig wäre sie wohl“, gesteht der Mitsubishi-Angestellte Kenzo Kaneko, schüttelt dann aber den Kopf: „In Japan gibt es neben den physischen doch auch einen sozialen Unterschied zwischen Männern und Frauen.“ Die junge Sekretärin Kazumi Yoshioka findet Doi toll, meint jedoch: „Bevor sie Regierungschefin wird, muß in Japan noch viel passieren. Bisher haben wir Frauen uns ja immer hinter den Männern versteckt. Jetzt gucken wir gerade erst aus unserem Versteck heraus.“

Das alles hält die BürgerInnen von Nagaoka nicht davon ab, der Sozialistenchefin einen ordentlichen Empfang zu bereiten. Annähernd tausend Menschen auf einer politischen Veranstaltung - soviel Leute konnte bisher nur der lange Zeit in Japan allmächtige Premierminister Tanaka in seiner kleinen Wahlkreisstadt Nagaoka zusammentrommeln. Und Tanaka bezahlt seine Wahlhelfer regelmäßig und gut.

Doi zahlt nicht. Sie schreibt die Rechnung nach vierzig Jahren liberaldemokratischer Regierungspolitik. „Erinnern Sie sich an die Zeit, als die Liberal-Demokratische-Partei (LDP) uns versprach, niemals eine zusätzliche Mehrwertsteuer einzuführen, und es dann mit aller Macht und gegen den erklärten Willen des Volkes doch tat.“ Immer wieder pocht Doi auf die unpopuläre Mehrwertsteuer, die ihr schon bei den Oberhauswahlen im vergangenen Juli die Wähler in die Arme trieb. Damals erfocht sie mit den Stimmen von Frauen, die sie beim Urnengang massiv unterstützten, den historischen Sieg. Nach vierzig Jahren uneingeschränkter Parlamentsherrschaft verloren die Liberaldemokraten ihre Mehrheit im Oberhaus.

Heute will Doi noch höher hinaus, sie stürmt aufs politisch maßgebende Unterhaus. „Das Parlament muß endlich aufhören, der Ort zu sein, wo das Volk betrogen wird. Japan braucht wieder ehrliche Politik. Aber glauben Sie nicht, die Regierung ändere sich von selbst. In Osteuropa konnte nur die Energie der BürgerInnen etwas bewegen. Und so ist es in Japan auch. Geben Sie Ihre Stimme der politischen Reform, denn der Machtwechsel ist keinesfalls unmöglich.“ Damit beendet Takako Doi ihre Ansprache auf dem Lautsprecherwagen in Nagaoka. Aber ist der Machtwechsel in Japan tatsächlich möglich? Und welche Rolle spielen die Frauen?

„Die Wahl der Frauen hat größere Bedeutung als je zuvor. Japanische Frauen beziehen heute ihren eigenen, klaren politischen Standpunkt und beschäftigen sich gerade mit dieser Parlamentswahl sehr intensiv.“ Schon diese kurze Bemerkung auf der Pressekonferenz in Nagaoka zeigt an, wie gut es Doi gelingt, politisches Interesse und Selbstwertgefühl bei ihren japanischen Mitbürgerinnen zu wecken, ohne dem auch nur den geringsten feministischen Akzent zu geben. Denn der käme nicht an. Längst ist die radikale Frauenbewegung der siebziger Jahre im Inselreich verstummt. Noch immer kleben die Japanerinnen an der Ehe, heiraten 90 Prozent von ihnen, bevor sie 30 sind und lassen sich selten scheiden. Noch immer werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt nur unbefriedigende Teilzeitjobs angeboten.

Mit der Suche nach einer Antwort wird sich Japan weit über die Wahlen am Sonntag hinaus beschäftigen. Dois Erfolg hat schon heute neue Brüche in der japanischen Gesellschaft aufgezeigt. Nicht mehr um den alten Gegensatz zwischen rechts und links dreht sich der japanische Wahlkampf, obwohl ihn die Regierungspartei mangels neuer Ideen weiterhin beschwört, sondern um die Geschlechterverhältnisse. Insbesondere unzufriedene Hausfrauen haben Dois Wahlkampagne in diesem und im letzten Jahr mit vielen lokalen Unterstützungsaktionen zu ihrer landesweiten Durchschlagskraft verholfen. Hausfrauen halten in Japan die VerbraucherInnenkaufkraft. Deswegen Dois Rede von der Mehrwertsteuer und zu teuren Preisen, während sich die LDP mit dem Verweis auf das hohe Wirtschaftswachstum für die Arbeitsplätze der Männer stark macht.

Doi wird nicht Premierministerin werden. Das glaubt in Nagaoka niemand. Noch nicht. Die Sekretärin Kazumi Yoshioka meint denn auch: „Sie strengt sich sehr an. Die Zeit ist auf ihrer Seite.“