Für die Japaner bleibt Nippon der Nabel der Welt

Die Japaner sind mit Hilfen für Osteuropa knauserig / Die Devise Nippons: Erst investieren, wenn Profite winken  ■  Aus Tokio Georg Blume

Es ist, als drehe sich die Welt um Berlin. Aber am Horizont der bereits verkündeten „neuen Ära“ glänzt immer noch ein Fixstern hell und klar. Dieser Fixstern heißt Japan.

Wie stark die eigene Strahlung bis ins ferne Europa ist, dessen ist man sich in Tokio nur zu gut bewußt. Gerade deshalb treibt die Regierung nicht zur Eile. Volle vier Wochen nach dem Berliner Mauersturz und ganze fünf Tage nach dem Gipfeltreffen in Malta sahen sich Nippons Regierende gestern erstmals genötigt, zu den europäischen Ereignissen Stellung zu beziehen: „Die Geschehnisse in Europa sind zunächst politischer Art und betreffen uns deshalb weniger“, rechtfertigte Tozai Watanabe, Sprecher im Tokioter Außenministerium, das lange Schweigen seiner Regierung hinsichtlich der Revolution in Ost-Berlin und Prag. „Wenn später die Nachfrage nach wirtschaftlicher Hilfe da ist, werden wir selbstverständlich unseren Beistand ausdehnen“, sprach Watanabe, als wüßte er nicht, daß in Osteuropa Kredite und Devisen lieber heute als morgen entgegengenommen würden. Doch Watanabes Arroganz ist die des Reichtums. Deswegen wird es bei Europas Regierenden kaum böse Kommentare geben.

Ganze 150 Millionen US-Dollar direkte Wirtschaftshilfe an Polen hat die japanische Regierung bisher auf den Tisch gelegt. Ein Geschenk, das freilich erst gemacht wurde, nachdem George Bush höchstpersönlich per Telefon den japanischen Premierminister Kaifu zur Kasse bat.

Zu schnelle Investitionen von japanischer Seite könnten in Europa Verstimmung auslösen, warnte Watanabe am Freitag. Er kündigte an, daß Außenminister Taro Nakayama in der nächsten Woche Europa bereisen würde, um sich über die Lage zu informieren. Dabei ist auffällig, daß Nakayama die großen europäischen Hauptstädte meiden wird, lediglich Brüssel und Wien stehen auf seinem Programm. Watanabe zum Zweck der Nakayama-Reise: „Wir werden vom österreichischen Außenminister eine Menge lernen können.“ Revolution hin, Revolution her, Japan übt sich in seinem traditionellen diplomatischen Understatement.

Das geht auch manchen Japanern zu weit. Amerikanische und sowjetische Führer machen „große Politik“ verglichen mit der „miserablen Kleinkariertheit“ japanischer Regierungspolitik, empört sich die sonst regierungsfreundliche 'Japan Times‘. Doch die Regierenden blieben stumm.

Statt mit neuen Vorschlägen oder Initiativen wartete Außenamtssprecher Watanabe gestern noch einmal mit der alten japanischen Forderung an die Sowjetunion auf, jene vier kleinen, nach dem Zweiten Weltkrieg annektierten Kurilen -Inseln im Norden Japans endlich wieder abzutreten. „Das ist eine Frage des Prinzips“, meinte Watanabe und ließ durchblicken, seine Regierung sei nicht bereit, die Kurilen einer angeblichen „neuen Ära“ zu opfern. Mit dieser Hartnäckigkeit blockiert die japanische Regierung nahezu jeden Forschritt in den japanisch-sowjetischen Beziehungen seit der Amtsübernahme Gorbatschows. Denn für Moskau müssen die nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegten Grenzen unantastbar bleiben, will man nicht den Unabhängigkeitsbewegungen in anderen Gebieten Vorschub leisten. Das weiß Tokio, und es gefällt sich im alten Rollenschema zwischen Ost und West. Fast untergegangen im europäischen Revolutionsrummel sind die immer deutlicher werdenden Bemühungen der japanischen Regierung, ihre Beziehungen zu China nach dem Massaker im Juni erneut zu normalisieren.

Hilfsprogramme für die Volksrepublik werden plötzlich weitergeführt, Regierungsgespräche - auch im Nuklearbereich

-wieder aufgenommen. Anders als in Europa, wo die Dinge derzeit zu schnell gehen, bleibt in China wieder Zeit fürs Geschäft. Japanische Unternehmen wollen nicht in Revolutionen investieren, sondern für den Profit. Wenn der erst wieder Europa regiert, wird Japan schnell dabei sein. Wenn Berlin arbeitet und schwitzt, wird sich der Fixstern Japan wieder drehen.