Prozeßlawine in Japan

Erster Verhandlungstag im Recruit-Cosmos-Verfahren / Japanische Spitzenpolitiker werden der Bestechung beschuldigt  ■  Aus Tokio Yamamuto/Blume

70 Seiten umfaßt die Anklageschrift im Verfahren gegen Takashi Kato, vormals stellvertretender japanischer Arbeitsminister, mit dem gestern das erste Verfahren im Zusammenhang mit dem Recruit-Cosmos-Bestechungsskandal eröffnet wurde. Mit ungewöhnlich scharfer Stimme ohne alle japanische Höflichkeit verlas Staatsanwalt Katsuhiko Kumazaki die Anklage. Wenn es Nippons Richter nicht schaffen, die politisch Verantwortlichen zu strafen, verspielen sie ihre Glaubwürdigkeit.

Es geht um Japans größte Bestechungsaffäre der Nachkriegszeit, in der die noch vor eineinhalb Jahren scheinbar unantastbar regierenden Liberaldemokraten das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Insgesamt zwölf Angeklagte werden in den nächsten Wochen in drei Verfahren in Tokio vor Gericht stehen. Allen wird der gleiche Vorwurf gemacht: Bestechung. Sie sollen von dem Anzeigen- und Immobilienkonzern Recruit-Cosmos im September 1986 in einem Insidergeschäft Aktien angekauft haben, die wenig später bei der ersten Börsennotierung - ihren Kurswert verdoppelten. Allerdings wurden längst nicht nur die jetzt Angeklagten eines solch dubiosen Aktiengeschäfts überführt. Ex-Premierminister Takeshita mußte im Frühjahr seinen Posten aufgeben, weil auch er Aktien von Recruit-Cosmos erhalten hatte. Ihm und anderen Politikern aller Parteien (mit Ausnahme der KPJ) wurde das Geschäft von richterlicher Seite jedoch als Parteienfinanzierung ausgelegt. Deshalb bleibt Takeshita & Co. der Gerichtsprozeß erspart. Anders verhält sich die Justiz bei hohen Staatsbeamten.

„Takashi Kato war unerfahren im Aktienhandel und war sich deshalb nicht im klaren, welchen Wert die Aktien bei der Börsennotierung haben würden“, meldete sich gestern der Verteidiger des stellvertretenden Ex-Arbeitsministers im Prozeß zu Wort. Solche Worte werden Kato in der Verhandlung wenig nützen, doch ist sein Fall damit nicht verloren. Vielmehr wird sich die Jusitz selbst im Wege stehen. Die Richter müssen im Recruit-Cosmos-Bestechungsfall klären, ob Insider-Aktiengeschäfte überhaupt strafbar sind. Aber Nippons Justiz meidet, wo möglich, Präzedenzurteile.

Für die japanischen Oppositionsparteien kommt die Skandalprozeßwelle im Vorwahlkampf zum richtigen Zeitpunkt. „Die Bevölkerung erwartet, daß diese Affäre voll aufgeklärt wird“, kommentierte der sozialistische Generalsekretär Yamaguchi am Freitag. Der neue Regierungschef der Liberaldemokraten, Kaifu, betonte: „So etwas darf man nicht wiederholen.“ Gerade in der öffentlichen Wiederholung der Skandalgeschichte vor Gericht liegt die politische Brisanz der Prozesse.