„Mer butze aach die annern“

Die Amateure von Kickers Offenbach werfen Mönchengladbach mit 1:0 aus dem Pokal  ■  Aus Offenbach Mathias Bröckers

„Berlin, Berlin - wir fahren nach Berlin“, skandierten die Massen am Freitag abend - doch es war nicht die Rede von Willy Brandt vor dem Schöneberger Rathaus, nicht die Radioreportage vom Fall der Mauer und der Vereinigungstaumel in der geteilten Stadt, es waren die „Kickers“ aus Offenbach, denen mit diesem Schlachtruf die Marschrichtung angezeigt werden sollte: zum Pokalendspiel im Olympiastadion, zu dem, wenn es denn soweit kommen sollte, nicht nur der heimische Anhang der Kickers, sondern auch andere Fans anreisen werden, deren ersten der Stadionansager persönlich begrüßte: „Er war 14 Stunden mit seinem Trabi von Erfurt unterwegs, um hier am Bieberer Berg seine Freunde vom Kickers-Fanklub zu treffen - ein herzlicher Applaus!“

Es ist lange her, daß man am Bieberer Berg jemanden treffen konnte, die großen Zeiten des OFC Kickers sind vorbei, nach dem Zwangsabstieg aus der 2. Liga kicken die Offenbacher heute in der Oberliga - zwar auf Platz eins derzeit, aber zuletzt mit einer Niederlage beim Vorletzten, dem TSV Battenberg.

Nicht die besten Voraussetzungen also für das Pokalspiel gegen den Erstligisten aus Mönchengladbach, wäre nicht auch deren große Zeit schon passe - zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte markiert das ehemalige Paradebeispiel für schnellen, innovativen Fußball das Bundesligaschlußlicht, und die blamable Vorstellung am nahezu ausverkauften Bieberer Berg (23.000 Zuschauer) deutet an, daß es sich dabei nicht um einen einmaligen Ausrutscher handelt: Aus den Fohlen von einst sind lahme Gladbacher Klepper geworden.

Als im Oktober 1974 die schwarze Kickersperle Erwin Kostedde mit einem Traumtor den 4:3-Sieg gegen die „Mönche“ einleitete, gröhlte der Gladbacher Anhang rassistisch -sexistisch: „10 Schwule und ein Nigger, das sind die Offenbacher Kicker!“ - fünfzehn Jahre später hat es dem „Borussensturm Hooligans Mönchengladbach“ ziemlich die Sprache verschlagen; bis auf zwei rote Farbtupfer. Eine Leuchtrakete verfehlte nur knapp den Kopf des Schiris, und im grün-weißen Fanblock wehte einsam eine Sowjetfahne.

Tribut an den sowjetischen Millioneneinkauf Igor Belanow, der auf dem Feld indes genauso einsam flatterte wie das Russenfähnchen auf den Rängen: Er rochierte zwar eifrig von links nach rechts und vom Strafraum zum Mittelkreis, doch selten erreichte den Stürmerstar ein brauchbares Anspiel, und wenn, dann konnte er nichts damit anfangen, weder dribbelnd noch mit Flanken oder Pässen, und an den zwei oder drei potentiellen Einschußmöglichkeiten rutschte er kläglich vorbei.

Weitaus mehr Dampf machten da die beiden Blondschöpfe Kroninger und Igler im Kickerssturm - hätten die beiden nicht in der ersten Halbzeit jegliche Sensibilität für die Abseitsregel vermissen lassen, die Gladbacher wären schon vor der Verlängerung in Rückstand geraten. So dauerte es bis zur 98. Minute, daß die agilen, fightenden Kickers den Lohn für ihren Kampfgeist einfahren konnten: Nach einem Eckball köpfte Kapetanovic das Tor des Tages, und der Bieberer Berg bebte vor Begeisterung.

Wer nach dem 1:0 nun ein Powerplay der Profis vom Niederrhein erwartete, sah sich enttäuscht: Zwar beeilte man sich fortan bei Einwürfen und Abstößen, doch mehr als hektisches Gekicke brachten die Gladbacher nicht zustande, zwei am Tor vorbeizischende Fernschüsse waren das einzige, was nicht zur Beute des OFC-Keepers Fuhr wurde. Dessen sicherer Hand hätte es während der gesamten 120 Minuten kaum bedurft: Keine einzige zwingende Kombination brachten die Gladbacher zustande, weder von technischer Überlegenheit noch von professionellem Kaltblut war irgend etwas zu spüren, kraftlos und einfallsarm agierten die Bundesligisten in eben jenem Stil, der ihnen von den Rängen entgegengehalten wurde: „Absteiger, Absteiger“.

Mit dem 1:0 avanciert der OFC Kickers 1901 zum diesjährigen Pokalschreck, nach Uerdingen und Gladbach kann jetzt, da waren sich die vom Henninger-Bier und Kickerssieg euphorisierten Fans ganz sicher, kommen wer will: „Wolle mer de Pokal? Mer wolle de Pokal! Mer ham Uerdinge gebutzt, mer ham Gladbach gebutzt, und ich sach Dir: Mer butze aach jeden annern!“

OFFENBACH: Fuhr - Borchers - Thiel, Schummer - Kostner (79. Merdanovic), Brummer, Cyrys, Kapetanovic, Figas - Igler (105. Richter), Kroninger

MÖNCHENGLADBACH: Kamps - Straka - Klinkert, Eichin Winkhold, Effenberg, Bruns, Spies, Neun - Bodden (74. Criens), Belanow