WIEDERVEREINIGUNG

 ■  Sport- und Export-Weltmeister - niemals!

Freund Fritz bringt Nachrichten aus der DDR, bei seiner weitverzweigten Verwandtschaft - Techniker, Angestellte, mittlere Kader - hat er das Ohr an Volkes Stimme gelegt und geradezu Sensationelles rausgekriegt: „Die wollen sich wiedervereinigen.“ „Das ist doch nicht dein Ernst“, sage ich, „stell dir das Jubelgeheul der DEUTSCHLAND-Idioten und National-Heinis vor, da wird einem ja schlecht. Wiedervereinigung muß doch wirklich nicht sein, Österreichisierung täte es doch auch.“ - „Na ja“, sagt Fritz, „aber die Leute im Osten haben die Faxen dicke, die lassen sich nicht mehr abspeisen, das heißt: Es dauert nicht mehr lange und es gibt freie Wahlen. Und die werden die Sozialdemokraten gewinnen. Wenn aber eine SPD in der DDR regiert, warum dann noch zwei Deutschlands, also wird sich wiedervereinigt.“

Meint jedenfalls Fritzens Verwandschaft, und an dieser Theorie ist was dran, auch wenn ich mich überhaupt nicht damit anfreunden kann. Deutschland ist in diesem Jahrhundert erst erträglich, seit es geteilt ist: die eine Hälfte Sport -Weltmeister, die andere Export-Weltmeister. Man braucht sich nur die Olympiade im Jahr 2004 in der wiedervereinigten Hauptstadt Berlin vorzustellen, um zu sehen, daß diese Aufteilung ganz gut und ein wiedervereinigter Hyper -Weltmeister Deutschland für Europa und den Rest der Welt kaum zumutbar ist. Selbst wenn er seit Olympia 1936 ein bißchen dazugelernt hat. Aber das will nichts heißen: Schließlich wurden 1945 aus 60 Millionen Nazis 1a BRD -Demokraten und aus weiteren 15 Millionen Nazis lupenreine DDR-Sozialisten - von einem Tag auf den anderen und unter Beibehaltung der preußischen Tugenden: Pünktlichkeit, Fleiß, Ordnung.

Den Hang, erster zu werden, ganz vorne mitzumischen, Weltspitze zu sein und dafür zu rackern, zu schachern, zu schuften und notfalls über Leichen zu gehen (wenns keine Menschen mehr sein dürfen, dann eben Bäume, Flüsse, Tiere) diesen Hang haben die Deutschen auch nach '45 nicht abgelegt. Die DDR hat den höchsten Lebensstandard im Ostblock erreicht, die BRD ist das fetteste Land in Westeuropa, beide sind gebührlich stolz auf ihre Erfolge wenn die getrennt so erfolgreich Marschierenden demnächst wieder vereint zuschlagen, kann nichts Gutes dabei herauskommen. Bleibt also zu hoffen, daß das nicht -repräsentative DDR-Umfrageergebnis Statistik bleibt und die Brüder und Schwestern im Osten die Wiedervereinigung die nächsten 100 Jahre erst mal aufs Abstellgleis schieben.

Außer dieser Hoffnung gibt es aber auch noch einen anderen Lichtblick: die CDU/CSU. Aber die Dreggers, Waigels und Co. sind doch schon immer scharf auf ein Deutschland in den Grenzen von 1941, wie können diese Ostland-Ritter bei der Verhinderung der Wiedervereinigung ein Lichtblick sein? Daß Adenauer seinerzeit die Ostzone so schnurstracks aufgab, war unter anderem auch ein parteipolitisches Kalkül: das bevölkerungsreiche Sachsen zum Beispiel war eine Hochburg der Sozialdemokraten, wenn die 1948 hätten mitwählen dürfen, wäre die CDU nie und nimmer zu einer Mehrheit gekommen.

Und nun stelle man sich vor, die DDR-Bürger wählen demnächst den gesamtdeutschen Bundestag. Wieviele von den zwölf Millionen neuen Wahlberechtigten würden ihre Stimme der SPD geben? 50, 60, 80 Prozent - in jedem Falle eine satte Mehrheit. Die Konservativen jedenfalls hätten auf absehbare Zeit keine Chance, das läßt sich auch ohne irgendeine Umfrage voraussagen. Und so könnte es zu der schönen Pointe kommen, daß gerade diejenigen, die immer am lautesten die Wiedervereinigung forderten, lieber in einem geteilten Deutschland herrschen, als in einem vereinigten in die Rolle der ewigen Opposition abzusteigen - im Zweifelsfalle ist das machtpolitische Hemd eben näher als die gesamtdeutsche Hose.

Mathias Bröckers