Genossen-Hatz auf bisexuellen SPDler

Für den Landtagsabgeordneten Dietmar Zierer wurde das Besäufnis im Bierzelt zum Karriereknick / Sozialdemokraten im Landkreis Schwandorf blasen zur Jagd auf ihren linken Flügelmann / Zierer: „Parteiinterne Hinrichtung auf Raten“  ■  Von Bernd Siegler

Dietmar Zierer war einer der wenigen Hoffnungsträger der in den letzten Jahren arg gerupften bayerischen Sozialdemokratie. Doch am 11.Juni dieses Jahres brach die Karriere des Rechtsanwaltes jäh ab, der bei den letzten Landtagswahlen eines der beiden Direktmandate für die SPD gewinnen konnte. „Verbotene Sexspiele des SPD -Landtagsabgeordneten“ titelte das Regensburger Boulevardblatt 'Die Woche‘, „Gruppensex im Bierzelt“ die Münchener 'Abendzeitung‘ nach einem Fest des Burschenvereins „Deutsche Eiche“ im oberpfälzischen Leonberg.

Seit zwölf Jahren ist Dietmar Zierer dort Schirmherr. Nach dem Fußballturnier muß er die fälligen Pokale übergeben, dann wird es feucht-fröhlich, bis weit nach Mitternacht. Zusammen mit sechs jungen Männern, zwei Mädchen und dem Vorsitzenden der „Deutschen Eiche“, dem SPD-Genossen Alois Schwarzenberger, feiert der Landtagsabgeordnete bis in die frühen Morgenstunden, irgendwann bricht seine Erinnerung ab. Schon am nächsten Morgen brodelt die Gerüchteküche. Zierer soll im Laufe der Nacht einem noch nicht ganz volljährigen, schlafenden Lehrling in die Hose gegriffen haben, heißt es. Dann soll der Landtagsabegordnete, so wollen es später Zeugen wissen, seine Zechkumpane zu sich nach Hause zum Nacktbaden in seinen Swimming-Pool eingeladen haben.

Sicheren Listenplatz

fürs Schweigen verlangt

Einen Swimming-Pool hat Zierer zwar nicht, aber noch bevor die Staatsanwaltschaft aktiv wird, geht es hinter den Kulissen der örtlichen SPD rund. Der Lehrling, der aufgrund des Alkoholgenusses am nächsten Morgen zu spät an seinem Arbeitsplatz erscheint, wird von seinem Lehrherren, SPD -Genosse und 3.Bürgermeister von Maxhütte, zur Rede gestellt. Der informiert den SPD-Landrat Hanns Schuierer und wird noch am gleichen Abend in der Kanzlei bei Zierer vorstellig. Man könne die Geschichte schon unter der Decke halten, erinnert sich Zierer an das Gespräch, doch für den 3.Bürgermeister müßte dann schon ein aussichtsreicher Listenplatz für die Kreistagswahlen herausspringen. Zierer lehnt ab, die Geschichte geht ihren Gang. Genosse Schwarzenberger gibt privaten Rundfunkstationen noch am selben Tag Interviews und erzählt, er hätte sich mit Händen und Füßen gegen eine Vergewaltigung durch Zierer wehren müssen. Die örtliche Presse stürzt sich auf den Fall, die Staatsanwaltschaft reagiert auf anonyme Anrufe und ermittelt gegen den Landtagsabgeordneten wegen Verdacht auf Trunkenheit im Straßenverkehr und homosexueller Handlungen an Minderjährigen (§175).

Schmutzkampagnen

alle Jahre wieder

„Wenn du es mit zehn Weibern gehabt hättest, wärst du ein toller Hecht.“ Diese und andere ähnlich gelagerte Aussagen von örtlichen SPD-Funktionären lassen Zierer schlußfolgern, daß die SPD eine spießige, „total sexualfeindliche“ Partei ist. Von Anfang an seien die homophilen Neigungen des Familienvaters bekannt gewesen. Schon 1976, sagt Zierer, habe Hans-Jochen Vogel ihm geraten, daß er aufpassen solle, damit nicht erpreßbar zu werden. Gerade in seinem Fall, so der Landtagsabgeordnete, falle die SPD jetzt weit hinter die eigenen Beschlüsse und Grundsätze zurück.

In der Tat hat der SPD-Parteirat auf dem Nürnberger Bundesparteitag beschlossen, für die Verbesserung des Schutzes der Jugendlichen einzutreten, dabei aber die bisher gültige geschlechtsspezifische Differenzierung beim Schutzalter zu vermeiden. Parteiinitiativen aus Berlin und Hamburg wollen den §175, der homosexuelle Handlungen an Minderjährigen unter Strafe stellt, während lesbische Betätigungen in parallelen Fällen straflos sind, an den §182 (Verführung von unter 16jährigen Mädchen) angleichen. „Schwulenfeindlicher Sonderparagraph“ heißt der 175er bei homosexuellen Initiativen nicht nur wegen des höheren Schutzalters für Männer (18 Jahre im Gegensatz zu 16 bei Mädchen), sondern auch weil das Delikt im Gegensatz zum §182 kein Antrags-, sondern ein Offizialdelikt ist. Bei einem Verdacht oder wie im Fall Zierer bei einer anonymen Anzeige wird automatisch die Staatsanwaltschaft aktiv, um das Rechtsgut der „ungestörten sexuellen Entwicklung des männlichen Jugendlichen zu sichern“.

Schon einmal war Zierers Homosexualität Mittelpunkt einer Schmutzkampagne gewesen. Ein bereits wegen Erpressung rechtskräftig Verurteilter bezichtigte den Landtagsabgeordneten im Mai 1986 in einem Brief an den damaligen bayerischen Justizminister Lang der Steuerhinterziehung und der Unzucht mit Minderjährigen. Die Regensburger Staatsanwaltschaft stellte die Vorermittlungen zwar am 26.8.86 ein, aber gezielte Indiskretionen aus dem Justizministerium lassen das Verfahren kurz vor den am 12.Oktober anstehenden Landtagswahlen wieder aufkochen.

Trotz diffamierender Schmierereien Wahlsieg

Zehn Tage vor der Wahl, bei der ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Schwandorfer Direktmandat zwischen Zierer und seinem CSU -Kontrahenten Humbs prognostiziert worden war, geht der CSU -Bürgermeister der WAA-Anliegergemeinde Bodenwöhr, Josef Wiendl, ausgerüstet mit Informationen des Justizministers an die Presse. Zierers Wahlplakate werden mit „schwul“ überschmiert, aus dem Slogan „Politik aus erster Hand“ wird „Politik aus warmer Hand“. Sensationell gewinnt Zierer trotz der Kampagne das Direktmandat, acht Wochen später werden die Ermittlungen gegen ihn völlig eingestellt. Damals stand die Partei noch völlig hinter ihm. „Damals haben sie mich wegen der WAA noch gebraucht“, erklärt sich Zierer die Lage vor drei Jahren.

„Heute, nach dem Aus für die WAA, will die oberpfälzer SPD wieder zur Normalität der Feste und Feierlichkeiten zurückkehren“, wirft er seinen Genossen vor, die ihn jetzt wie eine heiße Kartoffel fallengelassen haben. Noch bevor Zierer wußte, daß gegen ihn ermittelt wird, hatte ihn schon SPD-Landrat Schuierer zum Rücktritt aufgefordert. „Für einen Mann in derart exponierter Stellung“, so der Landrat, „gelten andere Grundsätze als wie für die Herren Meier oder Huber“. Zierer tritt dann auf Druck der Partei als Vorsitzender des Unterbezirks Schwandorf zurück. Per Einschreiben mit Rückschein fordern ihn Schuierer und drei stellvertretende Unterbezirksvorsitzende auf, auf eine Teilnahme am Unterbezirksparteitag am 22.Juli zu verzichten, „um Schaden von der Partei abzuwenden“. „Schaden abwenden“ heißt auch die Losung der Burglengenfelder SPD. Als Zierer sich weigert, sein SPD-Stadtratsmandat zurückzugeben, kündigt die örtliche SPD und die Fraktion ihm die Zusammenarbeit auf. Aufgrund seines „völlig untragbaren Verhaltens“ werde es „in Zukunft keine Gemeinsamkeiten mehr geben“. Dem Schwandorfer Ortsverein ist auch dies noch nicht genug. Er will „Bewerbungen des Genossen Dietmar Zierer um Partämter oder öffentliche Mandate nicht mehr unterstützen“.

Parteigenossen zielen

unter die Gürtellinie

Für Zierer kommen weitere Rücktritte, beispielsweise von seinem Vorstandsamt in der Oberpfälzer SPD, nicht mehr in Betracht. Er ist davon überzeugt, daß am Ende des Ermittlungsverfahrens lediglich ein fahrlässiger Vollrausch übrigbleibt - und den hatten ja schon andere Landtagsabgeodnete vor ihm. Otto Wiesheu zum Beispiel, der betrunken auf der Autobahn einen polnischen Fiat rammt und den Fahrer dabei tödlich verletzt, sitzt immer noch für die CSU im Landtag und ist zudem Vorsitzender der Hans-Seidel -Stiftung. Zierer glaubt deswegen, daß in der SPD jetzt „alte Rechnungen beglichen“ werden, seine homosexuellen Neigungen dienten als Vehikel im innerparteilichen politischen Linienstreit. „Ich stand in 16 Jahren führender Funktion im Unterbezirk immer auf den Barrikaden und nie dahinter, war nie ein Duckmäuser“, schätzt er sich selbst ein. Zierer galt in dem eher konservativen oberpfälzer SPD -Unterbezirk schon immer als linker Außenseiter.

Während sich der heute als Anti-WAA-Held gefeierte SPD -Landrat Schuierer beim Unterbezirksparteitag 1981 bei einem Antrag gegen die WAA noch der Stimme enthalten hatte, machte sich Zierer von Anfang an entschieden gegen die WAA stark. Zierer setzte sich im Landtag zum Unwillen seiner Genossen daheim für Schwulen- und Prostituierteninitiativen ein, als deren Finanzierung durch die Stadt Nürnberg von Bayerns damaligen Innenminister verboten und als „Sauerei“ abqualifiziert worden war. Er zog öffentlich gegen die scharfe Ausländer- und Asylpolitik des Schwandorfer Landratsamts zu Felde und legte den Wackersdorfer SPD -Genossen den Austritt nahe, die jahrelang für die WAA entgegen der offiziellen Parteilinie eingetreten waren. Jetzt schlagen die Genossen zurück.

Zierer spricht von einem „Scherbengericht gegen ihn und seine Familie“ und von einer parteiinternen „Hinrichtung auf Raten“. Selbst Zierers Nachfolger im Amt des Unterbezirks -Vorstandes, der Rechtsanwalt Franz Schindler, warnte seine Genossen vor einer „hysterischen Überreaktion und einer Vorverurteilung“ - ohne Erfolg. Die Partei hat sich mit ihrem Verhalten bereits in ihr eigenes Fleisch geschnitten. Stellvertreter von SPD-Landrat Schuierer ist jetzt ein CSU -Mann, die Chancen für die künftigen Kommunal-, Kreistags und Landtagswahlen in und um Schwandorf stehen schlecht für die SPD, die bei den letzten Landtagswahlen mit 27,5Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Kriegsende erzielt hat.