Heino zum Anfassen

■ Ein „Sommernachtstraum“ auf dem Haveldampfer: Mit den Sternchen am Schlagerhimmel und dem echten, wahren Heino

„Die können doch nicht wegen Heino gekommen sein“, wundert sich meine Nachbarin auf dem Haveldampfer, „det Publikum is doch viel zu jung.“ Sie ist mit 150 anderen Menschen gekommen, um am Samstag abend für einige Stunden ihren Sommernachtstraum mit Stars zu erleben. Viel Geld hat sie bezahlt und spielt nun auf dem halbleeren Dampfer das Publikum für den Mischkanal-Sender TLV. Die Aufzeichnung einer Unterhaltungssendung mit Sternchen, Möchte-gern-Stars und einer Modenschau mit anschließendem Verkauf steht auf dem Programm.

„Das ist live“, das ist Show“, nach mehreren technischen Pannen - mal fehlte der Storm, mal war die Anlage falsch ausgesteuert - kann der Moderator endlich zufrieden lächeln und die Sängerin Manigee ankündigen. Eingeschnürt in Leder, springt sie mitten zwischen die Kameras und das Dampferpublikum. Gnadenlos hält der Kameramann auf ihren wild wackelnden Hintern zum Klang von „perfect harmony“. Als Danny Davis vom verlorenen Traum singt, da werden die Frauen in Glitterblusen und Stolas wieder ruhig. Auch Gerald Manns Hit „Heute nacht hab‘ ich Sehnsucht nach mehr“ spricht vielen, die sanft ihre Oberkörper im Stuhl wiegen, aus dem Herzen.

Männliche und weibliche Interpreten wechseln, und nach den Fotoapparaten greift jeweils das andere Geschlecht. Als die Sängerin Roxy Rome sich grazil auf dem Dampferboden dreht, da drücken die Männer ab. Ausdauernde Videofilmer verfolgen alles.

Zwischen die Songs wird jeweils ein sogenanntes Interview geschoeben. Ob er Eigenreklame machen könne, fragt Gerald Mann. „Ja bitte, wir sind ein Fernsehsender“, stellt der Moderator klar. Seine Floskel „das ist doch einen Applaus wert“ wird ebenso als Aufforderung zum Klatschen befolgt wie das subtilere „Danke schön“. Gildas „So viel Liebe“ ist den Herren zu dezent, und einer kommentiert laut: „Die Männer sinn besser druff als die Frauen.“

Unruhe kommt auf. Den einen wird es zu langweilig, und die drückenden Blasen treibt es hinaus. Vergeblich mahnt die Regie zur Ruhe. Thomas Berger, der mit gebräuntem Siegerlächeln und „Sommer, Sonne, Strand“, versucht mühsam, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Schlaft ihr alle ein!“ raunzt dagegen Jürgen Drews, der Mann mit dem „Bett im Kornfeld“. Versöhnlich schließlich sein Lied „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. Geballte ringende Fäuste gehören zur tänzerischen Einlage. „Was für ein Temperament“, sagt der Moderator und entlockt den Damen ein lautes Seufzen.

Eskortiert wird der Haveldampfer von Männerrudeln auf Sportbooten. Mit einem Winken beziehen die Stars sie schon mal ein. „Schmarotzer, und wir haben 35 Mark bezahlt“, ärgert sich ein Statist. Die Drohung, „wer jetzt den Platz verläßt, bleibt weg, wenn Heino kommt“, kann einige nicht zurückhalten. Und dann kommt er, der große Blonde mit der braunen Brille. Wenn Heino singt, bedarf es keiner Aufforderung mehr, mitzusingen und zu klatschen. Nicht nur „LuftLuftLuft, DuftDuftDuft“, können die Statisten auswendig.

Heino tritt im Matrosenlook, weißem Anzug mit Goldknöpfen, an, und maßgeschneidert für die Havelfahrt ist sein Programm: „Durch Berlin fließt die Spree, rundherum der grüne Wald.“ Die Ehefrau, die das von ihrem Mann erkämpfte Heino-Autogramm eben noch schroff mit einem „watt soll ick denn damit“ abgewiesen hat, singt jetzt begeistert mit.

Konkurrenz oder Nachahmer braucht Heino gar nicht zu fürchten. Im Gegenteil: Mit Stolz erfüllt habe es ihn, daß er oft parodiert und imitiert wurde, versichert Heino. Für Zweifler am echten, wahren Heino hat Georg Kramm etwas mitgebracht. 17 Jahre alt ist seine erste Version vom Edelweiß, die er nun dank Rap als „enzian acid mix“, umrankt von zwei Gogo-Girls, modernisiert hat. Mit jeder gelungenen Nummer sieht der jugendliche Moderator das Generationenproblem des Abends beigelegt.

Die Schlagersterne haben ihren Beitrag zur Mondscheinfahrt geleistet. Pause. Weiter im Programm geht es mit der Modenschau. Scheinwerfer an, die ersten Mücken haben zugestochen, das Publikum ist bereits genervt und flüchtet ins schummrige Unterdeck. Die „Stimme der Heimat“ hat sich unter das Volk gemischt. „Aber natürlich“, tönt er und nimmt routiniert fürs Foto Frauen in den Arm. Er wird eindeutig lieber angefaßt als der Mann mit dem „Bett im Kornfeld“.

Live erleben, wie die Fernsehsendung aufgezeichnet wird, das kann man im Unterdeck. Von hier kommen die Kommandos für die Kameraleute, oben läuft die Vorführerin mit dem Spitzenunterteil. „Ran, ran, ran, Handkamera verfolgen, Schärfe nachziehen, wenn sie die Jacke öffnet, will ich den Busen sehen.“ Miss Berlin präsentiert die Waren der Sponsoren, getragen von „Missen“ aus Kreuzberg oder Frohnau. Doch die Boutique-Besitzerin hat sich verrechnet: Der Look ist den Damen zu topaktuell, keine will kaufen. „Wir sitzen alle in einem Boot“, tröstet Heinos Sekretärin.

Petra Schrott