Ein Berliner Apostel auf den Champs-Elysees

■ Der Regierende Bürgermeister Momper verkündet in Frankreich seine Revolutionslehre: Frauenpower und Ökologie statt der Guillotine / Nachdenklichkeiten in der schwarzen Limousine im Pariser Verkehrsstau / Unser Korrespondent fuhr mit

Was macht der Regierende Bürgermeister Walter Momper in Paris? „Wenn überhaupt, dann bin ich doch der Apostel des Frauensenats, der Apostel der Ökologie im praktischen Regierungshandeln. Wie Mitterrand gesagt hat!“ - „Was hat Mitterrand gesagt?“ - „Ich hätte eine große Aufgabe, eine große und schwierige Aufgabe. Da hat er wohl recht mit.“ „Ja, wenn der Präsident das sagt...“ - „Nicht wahr, wenn der Präsident das sagt!“ Kein Zweifel, Walter Momper ist „nicht nur“ als Berliner Regierungschef nach Paris gekommen. Zwar gehört der Antrittsbesuch bei den französischen Alliierten für ihn zur Amtspflicht, zwar haben er und Mitterrand „nicht als Historiker, sondern als Politiker“ miteinander gesprochen. Aber die frische Mailuft auf den Stufen des Elysee-Palasts, dieser kurze Höhenflug in die Weltpolitik vor der Kulisse des großen Revolutionsjubiläum... Kurz, Walter Momper kann nicht widerstehen. Los geht's, auf Apostels Schwingen durch Paris!

Langsam rollt der schwarze Diplomatenwagen aus dem Hof des Präsidentenpalastes. Erst nachdem Walter Momper die Stätte der Macht hinter sich läßt, beflügeln sich seine Gedanken. „Dieses Gefühl der Sympathie für Frankreich, das teile ich natürlich voll und ganz am 200. Jahrestag der Revolution. Frankreich als Ort des Fortschritts, als Land der Revolutionen, mit seinen demokratischen Traditionen... obwohl das ja auch alles widersprüchlich ist.“ Plötzlich stockt der Bürgermeister in der gerade zum Fluß gekommenen Rede. Vielleicht hat er jetzt im Rückspiegel der Limousine den Triumphbogen Napoleons entdeckt - nicht gerade ein Symbol des Fortschritts.

Doch der Wagen rollt weiter. Endlich erfassen die Räder das harte Kopfsteinpflaster des Place de la Concorde, vormals Place de la Revolution. Walter Momper hat den Faden der Geschichte wiedergefunden: „Wenn man sich die ganze moderne europäische Geistesgeschichte anguckt, dann basiert ja alles auf den Ideen der französischen Revolution und ihren fortgeschriebenen Traditionen. Als Mitglied einer nicht nur reformistischen, sondern auch fortschrittlichen Partei fühle ich mich dem natürlich verbunden.“ Der Bürgermeister tut gut daran, seinen Reformismus hier nicht allzusehr zu preisen, denn vor zweihundert Jahren hätte er ihn auf diesem Platz das Leben kosten können. Auf dem Platz der Revolution stand einst die Guillotine, köpfte das Volk den heiligen Kopf des Königs und viele mehr. Revolution ist Revolution. Welche heiligen Köpfe müssen heute rollen?

„Das weiß man ja nie, das weiß man ja nie.“ Walter Momper will seine politische Unschuld nicht verlieren. „Wir wären ja schon zufrieden, wenn das einfache Köpfen nicht mehr stattfinden würde.“ Doch so schwächlich, lieber Herr Bürgermeister, konnte bereits vor zweihundert Jahren nur ein Preuße sprechen. Wer sich in Paris zum Apostel hochschwingen will, muß aus Berlin schon etwas mächtiger daherkommen. Das läßt sich der Bürgermeister gesagt sein und erholt sich alsbald von seinem Schrecken. Freilich hat er nun die Szene gewechselt. Nicht mehr die unendliche Weite des Platzes der Revolution, sondern die geraden, unfehlbaren Straßengänge entlang des Justizministeriums liegen vor der Windschutzscheibe. „Die Revolutionsfeier wird ja hier ganz groß aufgezogen“, beginnt Walter Momper endlich seine Apostelrede. „Doch diese Art von Götzendienst, die jetzt an dem republikanischen Gedanken gemacht wird, stärkt eher ein religiöses Element.“ Obwohl die französischen Revolutionäre einst die Kirchen verbrannten, sieht der Bürgermeister heute „den Anschein, daß nun doch alles reichlich religiös ist“.

Walter Momper kommt zu sich. Die Limousine steckt im Verkehrsstau, Zeit genug, einmal weit auszuholen. „Der Fortschrittsglaube darf nicht religiös verkappt werden. Er muß Ergebnis eines aufklärerischen Prozesses sein, einer gedanklichen Durchdringung der Welt.“

Der Bürgermeister spricht die alte Lehre der deutschen Philosophen von der aufgeklärten menschlichen Vernunft, die in Frankreichs revolutionärem Gemenge nie so recht angekommen ist. Schon vor zweihundert Jahren mußte hier der Fortschrittsglaube über Nacht die Religion ersetzen, kein Wunder also, gibt Walter Momper zu verstehen, wenn sich bei den Franzosen „Irreglauben“ eingeschlichen habe. „Herr Mitterrand hat mir gerade erzählt, warum Frankreich die Atomkraft braucht. Falsche Wege gibt es überall“. predigt der Bürgermeister, ohne selbst den Glauben zu verlieren. „Vielleicht werden die Regierung der französischen Republik und das französische Volk auch in diesen Fragen noch weiterkommen.“

Langsam steuert die Limousine das Ziel der Reise durch Paris an. Im Kultusministerium wartet Jack Lang, der große Regisseur der Revolutionsfeier in diesem Jahr. Anke Martini, Langs Berliner Kollegin, hat den Pariser Betrachtungen ihres Regierungschef bisher vom Beifahrersitz her gelauscht. Nun erinnert sie an die „Nichtbeachtung des emanzipatorischen Anspruchs der Frauen in der französischen Revolution“. Sie denkt zurück an die Guillotine und schimpft: „Nicht nur Marie-Antoinette, die Königin, auch Olympe de Gouges ist 1793 geköpft worden“ - die revolutionäre Metzgerstochter aus dem Volk, deren Befreiungsruf für Frauen und Sklaven ihr damals den Tod brachte.

Walter Momper fühlt sich bestätigt: „Man sieht an der grünen Bewegung in der Bundesrepublik oder an der deutschen Sozialdemokratie, daß wir in der emanzipatorischen Frage, die die Frauen betrifft, ganz eindeutig weiter sind als die Franzosen.“ Fürwahr, welch „große und schwierige Aufgabe“, solche Einsicht in Paris verständlich zu machen. „Ökologie und Frauenfragen sind eben die Ergänzungen zum Fortschrittsbegriff, die wir gesellschaftlich und politisch miteinbeziehen müssen.“ Solch preußische Moral vertragen die Franzosen in der Regel schlecht - Schaden aber nehmen sie in dieser Zeit der Geschichtsverherrlichung daran nicht.

Georg Blume