Deutscher Film

■ Marcia Pally über Chantal Akermans „Geschichten aus Amerika“ und Tevfik Basers „Abschied vom falschen Paradies“

Marcia Pally ist Filmkritikerin beim New Yorker 'Penthouse‘, sie schreibt u.a. auch für 'Seven Days‘ und 'The Boston Herald‘. Ihre bitterböse Kolumne „Short Stories from America“ erscheint monatlich in der taz, ihren Scotch mag sie pur.

Gestern wies mich ein deutscher Journalist ausdrücklich darauf hin, daß Tevfik Basers „Abschied vom falschen Paradies“ ein deutscher Film war. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß es anders sein könne - bis ich Chantal Akermans „Geschichten aus Amerika“ sah. Da erst ging mir auf, daß er wohl befürchtet haben mußte, ich könnte denken, es habe sich um einen türkischen Film gehandelt. Die Geschichte handelt von einer türkischen Frau in einem deutschen Gefängnis, und deswegen könnte man vielleicht von einem türkischen Film sprechen, aber das ist ein Fehler, den nur Deutsche, nicht aber Amerikaner machen würden. Ein Amerikaner würde gar nicht auf den Gedanken kommen, die schreckliche Situation der Türken in Hamburg könnte etwas anderes sein als ein typisch deutsches Problem - solche Fehler machen wir höchstens bei amerikanischen Filmen.

Das muß es auch sein, worum es Akerman geht, zumindest hoffe ich, daß es ihr darum geht, denn ansonsten ist dieser Film schrecklich ermüdend. Es ist ein Film über die Situation osteuropäischer Juden in Amerika, und Amerikaner würden das einen „jüdischen“ Film nennen, genauso wie Filme über Puertorikaner in New York für uns „puertorikanische“ Filme, Filme über Italiener in Chicago „italienische“ Filme und Filme über Mexikaner in Los Angeles „mexikanischce“ Filme sind. Für Akerman, eine belgische Filmemacherin, sind die Erinnerungen und der Humor der jüdischen Einwanderer in Amerika ein Teil des amerikanischen Lebens, deshalb nennt sie ihren FIlm auch „Geschichten aus Amerika“ - damit wird sie in Amerika selbst nicht viel Erfolg haben.

Chantal Akerman hat natürlich völlig recht, wenn sie sagt, daß die Kultur der Einwanderer die Geschichte und die Eigenarten Amerikas bestimmt hat, und es ist sehr gut gemeint, daß sie versucht, ein wenig von dem zu bewahren, was von dieser „Jiddishkeit“ übrig geblieben ist, und die Amerikaner selbst dran zu erinnern, daß auch dies, ebenso wie die vielen anderen „fremden“ Kulturen, wirklich Amerika ist. Das einzig gute an ihrem Film ist jedoch der Titel. Siebenundneunzig Minuten ausführliche Erzählungen direkt in die Kamera könnten wirklich ein eindrucksvolles Erlebnis sein, aber wenn sie so langatmig und statisch montiert werden wie in diesem Fall, dann verlieren sie leider auch den Humor und die Lebendigkeit, die die Filmemacherin vermutlich so fasziniert und zu ihrem Film motiviert haben.

Ihre bisherigen Arbeiten zeichneten sich immer durch eine gewollte Distanz zu ihren Personen aus, denen sie sich doch so eng verbunden fühlt - eine Art entfremdeter Vertrautheit. Diese neue Arbeit von ihr hat mir deutlich gemacht, daß sie sich dem jüdischen Leben genauso zugehörig fühlt wie der Weiblichkeit, die sie beispielsweise in „Jeanne Dielman“ porträtiert hat. Was jedoch nicht rüberkam, war ihr Fasziniertsein, ihre leidenschaftliche Anteilnahme.

„Abschied vom falschen Paradies krankt am genauen Gegenteil: viel zu viel Gefühl. Baser beginnt seinen Film mit einigen guten Ideen. Eine türkische Frau wird im Gefängnis immer mehr verwestlicht und lernt unter diesen schlimmsten aller Bedingungen, daß auch sie Rechte besitzt und eigene Entscheidungen treffen kann. Außerdem geht der Filmemacher auf die bereits ausführlich geprobte Praxis der Ausweisung ein, die die türkischen Frauen nicht nur eines deutschen Einkommens beraubt, sondern ihnen auch einen Großteil der Errungenschaften des 20. Jahrhunderts vorenthält; und zwar in sehr viel stärkerem Maße, als das für türkische Männer gilt. Das Drehbuch ist jedoch viel zu niedlich und viel zu einfach: Man könnte das Gefängnis fast mit einem Wohnheim am Vassar College verwechseln und jede einzelne der Frauen für eine Mutter Theresa halten. Ich hatte richtig Sehnsucht nach „Scrubbers“, einem Film über eine Erziehungsanstalt für Mädchen in England, der nicht nur die Fürsorge und Freundschaft unter den Frauen zeigt, sondern auch ihre Auseinandersetzungen, ihr Bandentum, ihren Humor, ihren Sex, ihre rebellische Einstellung und ihre ausgesprochen groben Verrücktheiten - ein Film, der „sie“ genauso kompliziert und widersprüchlich zeigt, wie wir „anderen“ es auch sind.

Aus dem Amerikanischen: Hans Harbort