„Schleimigkeit und Frust und bleifrei...“

Satire auf die Nationalhymne - „Kleinschriftsteller“ Tomayer und Verleger Röhring freigesprochen / Staatsanwalt kannte das Deutschlandlied nicht / Die Zeugen Zimmermann und Scholz blieben vor der Tür  ■  Aus Hamburg Ute Scheub

„Deutschland, Deutschland,

over allo

Auf der Straße liegt das Gel

Wenn es gegen Los Krawallo

Gnadenlos zusammenhäl

Von Beethoven bis Bergen-Belse

Von Wackersdorf bis Asylantenzel

Deutschland, Deutschland

hyper alle

Du schönstes Biotop der Welt.

Hätten Sie es diesem Gedichtlein angemerkt, daß es den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern imstande ist? Nein, nicht etwa durch sein leicht unebenes Versmaß, das die lesende Bevölkerung wellenförmig hinauf und hinab tragen mag und somit in unregelmäßige, dem Gemeinwesen also abträgliche Schwingungen versetzt; sondern allein dadurch, daß es ist.

Dieser Meinung ist jedenfalls Herr Oberstaatsanwalt Ehlers, der den Verleger Hans-Helmut Röhring vom Hamburger Zinnober -Verlag und den „Kleinschriftsteller“ Horst Tomayer der Staatsverunglimpfung bezichtigte, weil sie jenes zarte Gedichtlein in Tomayers Buch Hirnverbranntes und Feinziseliertes abgedruckt beziehungsweise rezensiert hatten. Und dieser Meinung war auch sein Kollege Bunners, der im März 1988 den Verlag heim suchen und in der Folge rund 3.200 Buchexemplare beschlagnahmen ließ.

Aber warum? Die Frage läßt sich nur sehr schwer ergründen, denn am Deutschlandlied, an das das Gedichtchen erinnern mag, kann es eigentlich nicht gelegen haben. Der Herr Staatsanwalt Bunners, gestern als Zeuge im Verfahren gegen Tomayer und Röhring geladen, kennt nämlich unsere ganze Nationalhymne gar nicht.

„Nur die dritte Strophe und Teile der ersten“, so bekannte er freimütig, „ja, und die Melodie.“ „Er hat eine Melodie angeklagt!“ entfuhr es Röhrings Verteidiger Helmut Jipp. „Stimmt nicht“, warf sich Oberstaatsanwalt Ehlers mit aller Wucht zum Schutze seines Kollegen im Zeugenstand dazwischen, „er hat die Melodie rhythmisch unterlegt!“

War es also doch die Rhythmik? Staatsanwalt Ehlers bestritt: Ein Einzelfall sei diese Strafverfolgung nicht gewesen. Einmal habe er tätig werden müssen, weil eine Modezeitschrift in einem Werbespot für ihr Blättchen die Melodie verunstaltet habe. Dieses Verfahren habe er schließlich eingestellt.

Im Falle Tomayer, so gab er zu, habe jedoch „eine gewisse Rolle“ gespielt, daß „in Bayern bereits ein Strafverfahren anhängig war“. Sowohl die Nürnberger Alternativzeitung 'Plärrer‘ als auch Tomayer selbst waren dort wegen Abdrucks eben jenes Textes schon zu Geldstrafen verurteilt worden.

Aber die Bundesrepublik habe ja gar keine Nationalhymne, die verunglimpft werden könne, führten die Verteidiger Jipp und Maeffert aus. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss habe vergeblich versucht, diesen durch die Nazizeit belasteten „Vorspann zum Horst-Wessel-Lied“ durch eine andere Hymne ersetzen zu lassen.

Erst nachdem das Vorhaben scheiterte, habe Heuss unter Verzicht auf jede feierliche Proklamation durch einen schlichten Briefwechsel mit dem damaligen Bundeskanzler Adenauer ohne jeden Gesetzescharakter das Deutschlandlied als Nationalhymne anerkannt.

Im übrigen könne die grundgesetzlich garantierte Kunst- und Satirefreiheit nur dann strafrechtlich eingeschränkt werden, wenn die Sicherheit des Staates, die „FDGO“ oder die Sittengesetze verletzt würden. Zum Beweis dafür, daß „der Text weder die Ministerien noch die Nachrichtendienste veranlaßt hat, Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren einzuleiten“, wollten sie unter anderem gar Verteidigungsminister Scholz, Innenminister Zimmermann, Rechtsprofessor Benda und Hamburgs Verfassungschef Lochte als Zeugen geladen wissen.

Doch das Auftreten dieser gewichtigen Prominenz im schäbigen Amtsgerichtssaal unterblieb genauso wie das Aufsagen des Deutschlandliedes durch den Herrn Staatsanwalt Bunners. Richter Kleemann unterstellte die Beweisanträge als wahr und sprach schließlich sein Urteil: Freispruch.

„Wir haben zwar eine Nationalhymne“, befand er, „aber die besteht, wenn überhaupt, nur aus der dritten Strophe.“ Die ersten beiden im Gedichtlein des Anonymus seien somit eh nicht zu verunglimpfen. Und die dritte, nun ja, sie sei „zulässig im Rahmen der Kunstfreiheit“: „Es würde meiner Auffassung vom Rechtsstaat widersprechen, wenn man derartige Dinge nicht äußern darf.“ „Schleimigkeit und Frust

und bleifrei...

-so darf also zukünftig jeder Leser den Glimpf frei von der Leber weg singen „Für das deutsche Tartanland

Darauf laßt uns einen hebe

Vorneweg und hinterhan

Schlagstockfrei und Kreb

und Gleitcrem

Deutschland wuchert mit dem Pfun

Kopuliern im deutschen Stall

Mutterschaf und Schäferhund.