Venedig: die Löwen sind tot

■ Die 45.Filmfestspiele sind zu Ende. Die Preise gingen an die Langweiler Olmi und Angelopoulos

Die diesjährige Biennale hat ihre Pforten geschlossen: Der Goldene Löwe ging an Olmis „Die Legende eines heiligen Trinkers“, versilbert wurde Angelopoulos‘ „Landschaft im Nebel“, mit dem großen Sonderpreis wurde Sembenes „Das Lager von Thiaroye“ belohnt. Korrespondent Arno Widmann ist über die Preisverteilung empört. Gerechtfertigt scheinen ihm nur die Auszeichnungen für die besten Hauptdarstellerinnen: Isabelle Huppert in Chabrols und Shirley MacLaine in Schlesingers Film. Bei den Männern siegten Joe Mantegna und Don Ameche.

Klaus Maria Brandauer, in der Pressekonferenz von einer Journalistin als einer der besten Schauspieler der Welt tituliert, mit freundlicher Geduld: „Wir sind hier nicht beim Sport. Da gibt es Stoppuhren und Meßbänder. Da läßt sich ganz objektiv feststellen, wer schneller läuft, wer weiter springt.

Bei der Schauspielerei geht es - glücklicherweise - anders zu. Sie dürfen nicht einschlafen. Das ist ein objektiver Maßstab. Sonst gibt es fast keinen. Sehen Sie, ich versuche, mein Bestes zu geben. Dafür brauche ich Spannungen. Ich muß Hindenisse überwinden, und wenn keine Steine im Weg liegen, dann muß ich mir selbst welche legen, um sie dann beseitigen zu können. Ob es dann gut wird oder weniger gut, das zu entscheiden ist Ihre Sache.“

Trotzdem: Es gibt Unterschiede. Preise sind dazu da, sie deutlich zu machen.

Den Goldenen Löwen erhielt Ermanno Ormi für seine Verfilmung von Joseph Roths Roman 'Die Legende des heiligen Trinkers‘. Daß dieser Film das Rennen machen würde, war schon vor Beginn der Festspiele ein hartnäckiges Gerücht. Olmis Lunga vita alla Signora war vergangenes Jahr Louis malles‘ Auf Wiedersehen Kinder knapp unterlegen gewesen. Olmi gilt in Italien als einer der ganz Großen. Der Kritiker des venezianischen 'Gazzetinos‘ steht mit seinem Spott, was Olmis neuestes Produkt angeht, in der veröffentlichten Meinung ziemlich allein. Während der Pressevorführung dagegen hörte man zwar kein Schnarchen, aber einige Goldplomben blitzten schon in gähnenden Schlünden, und Applaus wollte sich zuerst überhaupt nicht einstellen.

Desto begeisterter waren die Kritiker am nächsten Tag. Die Jury war sich keineswegs einig. Der deutsche Juror Klaus Eder und sein indischer Kollege Gopalakrishan sollen sich bis zuletzt für Angelopoulos Nebellandschaft stark gemacht haben. Die anderen fünf und vor allem auch der Juryvorsitzende Sergio Leone dagegen favorisierten Olmi. Eine Entscheidung zwischen Teufel und Beelzebub. Angelopoulos Nebellandschaft, die Reise zweier Kinder durch Griechenland mit dem mythischen Ziel „Deutschland“, ist nicht nur langweilig, sondern spreizt sich auch noch mit Bildungsschutt. Ein kunstgewerbliches Arrangement von Symbolen und symbolischen Handlungen.

Olmis Trinker ist da trockener. Aber die fade Stimmungsdümperei, die uns als große Kunst verkauft werden soll, kommt - hoffe ich - nur bei der Kritik an. Der Rest der Menschheit lacht entweder über die unfreiwillige Komik dieses Streifens oder sieht ihn sich erst gar nicht an. Die professionelle Filmkritik dagegen, mit ihrem Minderewertigkeitskomplex, weil sie es mit Industrie und nicht mit Kultur zu tun hat, wird weiter entzückt aufstöhnen und alles hochjubeln, was ihren Kulturzipfel kitzelt.

Es gibt noch einen handfesteren Grund für Olmi. Oreste del Buono nannte ihn im 'Corriere della sera‘ schon am 1.September: Das italienische Fernsehen ist mit acht Filmen hier vertreten. Vier davon allein im Wettbewerb. Der aufwendigste ist Olmis sauberer Säufer. Del Buono schreibt: „ Die RAI betrachtetr die 45.Filmfestspiele von Venedig als ihr Terrain. Sie wird es mit allen Mitteln gegen die harte Konkurrenz des Mediengiganten Berlusconi verteidigen, der mit 13 Filmen in Venedig dabei ist und dem es gelang, fünf Filme in den Wettbewerb zu drücken.“

Die Preise verdeutlichen den Provinzialismus unserer Festivals. Es herrscht ein Dreiklassenwahlrecht. Da sind die Filme aus der sogenannten Dritten Welt. Von ihnen werden zwei, drei in den Wettbewerb genommen, alle zehn Jahre bekommt auch mal einer einen Preis, wie in diesem Jahr Sembenes Lager von Thiaroye. Dann die Europäer. Die Palmem, Bären und Löwen gehen in 90 Prozent der Fälle an sie. Die großen amerikanischen Filme - hier in Venedig Good morning Vietnam, Big, A fhish namend Wanda - werden zwar gezeigt, sind aber nicht im Wettbewerb. Es ist, als würden die Fußballweltmeisterschaften ohne Brasilien, Italien, Deutschland usw. gemacht werden, dafür aber Liechtenstein, San Marino und Andorra groß rauskommen.

Arno Widmann