Rechtsradikaler darf Lehrer bleiben

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof sah keinen Entlassungsgrund - Nürnberger Lehrer hatte Nazi-Regime verharmlost: Sechs Millionen ermordete Juden als „Phantasie- oder Symbolzahl“ bezeichnet  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Enttäuschung, Empörung und Entsetzen löste in Nürnberg ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes aus. Der 16.Senat hatte entschieden, daß der Fürther Studiendirektor Hans-Jürgen Witzsch weiter Lehrer bleiben darf, obwohl er in und außerhalb des Unterrichts nazistische Thesen vertreten und damit das Nazi-Regime verharmlost hatte. Die Stadt Nürnberg hatte mit dem Rechtsstreit das Ziel verfolgt, den zunächst suspendierten 49jährigen Pädagogen aus dem Schuldienst zu entlassen. Jetzt muß sie Witzsch ab dem kommenden Schuljahr weiterbeschäftigen.

Schon lange, bevor die Stadt Nürnberg 1981 ein Disziplinarverfahren gegen den damaligen Studiendirektor an der städtischen Wirtschaftsschule und ehemaligen Fürther CSU -Stadtrat Witzsch eingeleitete, waren dessen Thesen auf Empörung gestoßen. Im Unterricht und auf Flugblättern des von ihm gegründeten „Arbeitskreises für Zeitgeschichte und Politik“ verkündete Witzsch, die Gaskammern in Dachau seien erst nachträglich von den Amerikanern eingebaut worden. Sechs Millionen im Dritten Reich ermordete Juden seien eine „Phantasie- oder Symbolzahl“. Er bestritt zudem die Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Mehrere Schüler traten im Verfahren gegen Witzsch als Zeugen auf. Der Pädagoge sprach von einer „gezielten Hetzkampagne linksradikaler Kreise“. Das Ansbacher Verwaltungsgericht hatte in erster Instanz zwar die Suspendierung des Lehrers vom Dienst und seine Degradierung vom Studiendirektor zum Oberstudienrat bestätigt, ihn jedoch vom Vorwurf freigesprochen, im Unterricht nazistische Thesen verbreitet zu haben. Seine rechtsextreme Einstellung sahen die Ansbacher Richter als erwiesen an. Gegen das Ansbacher Urteil legt die Stadt Nürnberg Berufung ein. Der Bayerische VGH sah für die Entlassung aus dem Schuldienst jedoch keine ausreichende Grundlage. Witzsch habe lediglich gegen das politische Mäßigungsgebot verstoßen und die politische Treuepflicht gegenüber dem Staat verletzt.

Die Stadt Nürnberg muß nun nach diesem letztinstanzlichen Urteil den rechtsradikalen Pädagogen im kommenden Schuljahr weiterbeschäftigen. Personalreferent Plamper (SPD) will für den Lehrer eine Verwendung suchen, wo er „möglichst wenig Schaden für die Schüler“ anrichten könne. Der stellvertretende SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Rolf Langenberger, der das VGH-Urteil mit „Entsetzen und totalem Unverständnis“ aufgenommen hat, forderte die Staatsregierung auf, „den Lehrer aus den Diensten der Stadt Nürnberg in den bayerischen Staatsdienst zu übernehmen“. Dort solle er dann eine Aufgabe übernehmen, bei der er keine Gelegenheit habe, seine rechtsradikalen Ansichten weiterzuverbreiten. Der Stadt Nürnberg sei eine Weiterbeschäftigung von Witzsch „nicht zuzumuten“.