LALÜ LALA

 ■  Musik als Abschreckungswaffe

Die bislang erbarmungslos von der Polizei verfolgten Musikanten in den Londoner U-Bahnhöfen sollen bald selbst zu Hütern des Gesetzes aufsteigen. Gegen die zunehmende Kriminalität in den unterirdischen Gängen und Hallen will sich die Bahnpolizei die Gegenwart der Musiker zunutze machen. „Etwa hundert Musiker an strategisch wichtigen Punkten könnten von unschätzbarem Wert für die Abschreckung sein“, erklärte ein Polizeisprecher der Zeitung 'Sunday Times‘.

Zwar mutet ein einsamer Blockflötist als Abschreckungswaffe etwas harmlos an, um einen Hooligan vom Handtaschenraub abzuhalten, und die Münzen im Gitarrenkasten eines Dylan -Imitators könnten einen bargeldlosen Junkie zum kriminellen Akt gar noch animieren, doch grundsätzlich geht die Idee der britischen Ordnungshüter in die richtige Richtung. Gewiß wird der notorische Raufbruder nicht von einem fröhlichen Liedchen bekehrt, aber wo der Knüppel immer mehr (statt weniger) Kriminelle produziert, da entspannt Musik erst mal die Lage. Das ist schon mal was. Jedenfalls mehr, als ein Ordnungs-Zombie vom Schlage Kewenig derzeit in Berlin erreicht. Mit dem Gedankengut und der Hau-Drauf-Taktik des 19.Jahrhunderts läßt sich eine Kulturstadt des 3.Jahrtausends nicht organisieren. Man stelle sich dagegen die Volksfeststimmung vor, wenn die Weltbank tagt und der Polizeichor Berlin (unterstützt durch mobile Eingreif-Sänger aus dem Bundesgebiet) durch die Oranienstraße zieht und a capella Lalü Lala singt...

Das „Ende der Alternativen“, von trendbewußten Modeartiklern längst haarklein beschrieben, bahnt sich definitiv seit letzter Woche an. Die Alternativbewegung ist beim Kanzler angekommen, zu Fuß: Helmut Kohl hat sich ein paar neue Sandalen zugelegt, nicht irgendwelche, sondern das Modell „Oslo exquisit“ der Firma Birkenstock. Von 1976 bis dato trug der Regierende, wie 'Bild‘ vermerkt und dankenswerterweise im Foto festhält, „Jesuslatschen“ - ein aufschlußreiches Indiz. Die Jesuslatschen sind eine Erfindung der Hippie-Ära, die ihrerseits Mitte der Sechziger begann, also über 10 Jahre brauchte, um in Oggersheim zu landen. Und wieder mit mehr als zehn Jahren Verspätung tritt jetzt das alternative Korkfußbett in atmungsaktiven Kontakt mit Kohls mächtiger (46er) Sohle. In weiteren zehn Jahren, so darf vorausgesagt werden, wird er sich zur Winterszeit vom Verteidigungsminister ein paar echt punkige Springerstiefel anpassen lassen. Woran liegt es nur, daß Ideen und Innovationen bei Kohl immer viel zu spät und dann auch nur als Schuhwerk ankommen? Wahrscheinlich hat unser Pracht-Kanzler mal wieder eine Lebensweisheit durcheinandergebracht: Was man nicht im Kopf hat, das muß man an den Füßen haben.

Mathias Bröckers