Pinzner–Anwältin vor Gericht

■ Frau Oechsle–Misfeld soll die Drahtzieherin des Blutbads im Hamburger Polizeipräsidium gewesen sein / Anwälte: „Verurteilung staatlich erwünscht“ / Angeklagte nach strenger Isolatonshaft stark geschwächt

Aus Hamburg Ute Scheub

„Die Verurteilung der Angeklagten ist staatlich erwünscht“, glauben die beiden Verteidiger von Isolde Oechsle–Misfeld. Gleich zu Beginn des von viel Presseaufmerksamkeit begleiteten Prozesses gegen die 40jährige Anwältin des „St.–Pauli–Killers“ Werner Pinzner stellte sie einen Befangenheitsantrag gegen die Berufsrichter und Schöffen der Landgerichtskammer. In Gegenwart seiner Anwältin hatte Werner Pinzner, nachdem er die Ermordung von fünf Bordelliers gestanden hatte, am 29. Juli 1986 im Hamburger Polizeipräsidium zuerst den Staatsanwalt Wolfgang Bistry, dann seine Ehefrau Jutta und zuletzt sich selbst erschossen. Der Innensenator und die Justizsenatorin traten nach dem Blutbad zurück. Frau Oechsle–Misfeld, die wenige Tage später verhaftet wurde, wird nun beschuldigt, gemeinschaftlich mit ihrem Mandanten die Tötung Bistrys begangen zu haben. Laut Anklageschrift soll sie den Mordplan gegen den wohl ziemlich gut über Kiez– und Kokaingeschäfte informierten Staatsanwalt mitentwickelt und die durch Pinzners Frau ins Polizeihochhaus geschmuggelte Tatwaffe von St.–Pauli–Boß „Ringo“ Klemm besorgt haben. Weiterhin wird ihr vorgeworfen, zumindest Beihilfe zur versuchten Tötung von zwei im Vernehmungszimmer anwesenden Polizeibeamten geleistet sowie Jutta Pinzner überredet zu haben, sich von ihrem Ehemann erschießen zu lassen. Zudem soll sie sich Pinzners Rauschgiftabhängigkeit zunutze gemacht haben, um ihn für einen „Exitus triumphalis“ gefügig zu machen, wie sie es nach der Anklage gegenüber einem Journalisten ausgedrückt haben soll, und auf dem Kiez insgesamt 26mal Heroin, Kokain und Haschisch für ihren inhaftierten Mandanten besorgt haben. Die Anwälte brachten in diesem Zusammenhang den Verdacht zum Ausdruck, daß die Hamburger Strafjustiz wegen des Mordes an einem ihrer Mitglieder zur notwenigen Neutralität nicht mehr fähig sei. Ihre Befangenheitsanträge und ihr Verlangen, den Prozeß außerhalb Hamburgs neu zu beginnen, wurden jedoch nach mehreren Verhandlungsunterbrechungen zurückgewiesen. Frau Oechsle–Misfeld, seit 17 Monaten in strenger Isolationshaft, wirkte psychisch und physisch sehr angeschlagen. Aber über ihre Verhandlungsfähigkeit entschied das Gericht gestern noch nicht. Das Ergebnis des vom Gericht bestellten medizinischen Gutachtens war schon vor Prozeßbeginn zu erfahren: Die Angeklagte sei höchstens zwei bis drei Stunden verhandlungsfähig.