Die Europäische Akte

Die EG steht in dem Ruf, eine handlungsunfähige und von Krisen geschüttelte Institution zu sein. Butterberge und Weinseen, Auseinandersetzungen um Beitragszahlungen, Stahlproduktionsquoten und Agrarpolitik wecken den Eindruck, die EG sei nichts als ein teurer Luxus. Gleichzeitig liefen während der letzten Jahre jedoch Bestrebungen der inzwischen zwölf Mitgliedsstaaten, die Zusammenarbeit auf politischer und wirtschaftlicher Ebene zu verstärken. Dazu unterzeichneten mittlerweile alle EG– Mitgliedsstaaten außer Irland die Einheitliche Europäische Akte, über die die Iren heute abstimmen. Teil I der Akte enthält allgemeine, einführende Prinzipien der angestrebten, engeren Zusammenarbeit. Die dazu benötigten „inneren Reformen“ der EG–Bürokratie sind im zweiten Teil des Vertrags festgelegt. Im dritten Teil - dem eigentlichen Streitobjekt in der irischen Republik - wird der Versuch unternommen, die schon seit 1969 stattfindenden informellen Absprachen europäischer Außenpolitik auf rechtliche Füße zu stellen. Das Ziel, so der Wortlaut des Vertrags, ist eine gemeinsame europäische Außenpolitik. Anders als die beiden ersten Teileist Teil III ein gänzlich neuer Vertrag, der die bislang informelle Zusammenarbeit im Bereich der Außen– und Sicherheitspolitik institutionalisiert. Dazu wurde ein neues Planungstreffen der Außenminister mit dem Namen „Europäische Politische Zusammenarbeit“ (EPZ) mit eigenem Sekretariat und Verbindungsbeamten in den jeweiligen Hauptstädten ins Leben gerufen. Das Generalsekretariat arbeitet schon seit Anfang des Jahres. Um den Iren die Unterschrift zu erleichtern, wurden in dem prekären Bereich der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen ausdrücklich militärische Aspekte ausgenommen. Im Grunde handelt es sich dabei aber um Augenwischerei. Die Zusammenarbeit auf politischer Ebene erstreckt sich nämlich bis hin zur stärkeren Koordinierung der Anti–Terrorismusaktivitäten und Rüstungsinitiativen. Auf wirtschaftlicher Ebene wird die Beschaffung und Produktion von Waffensystemen abgesprochen. Teil II der Akte beinhaltet eine geringfügige Ausweitung der Befugnisse des europäischen Parlaments, das bis heute mit zwei Ausnahmen lediglich beratende Funktion hat. Die EG–Parlamentarier haben das Recht, den Haushalt zu verabschieden und die EG–Kommission abzuwählen. Neu hinzu kommen sollen grundsätzliche Kompetenzen im Bereich des Umweltschutzes, der Forschung und der Technologie. Teil II legalisiert außerdem den in den Römischen Verträgen noch nicht vorgesehenen Europäischen Rat (der Staats– und Regierungschefs) als oberstes Entscheidungsorgan der Gemeinschaft. Im Mittelpunkt der Vertragsrevision steht jedoch das Ziel, bis zum 31. Dezember 1992 einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt zu schaffen, der hinsichtlich der Bewegung von Gütern, Personen, Dienstleistungen und Kapital keine Beschränkungen mehr enthält. Ferner ist geplant, die ökonomische und fiskalische Politik zu harmonisieren. Disparitäten zwischen höher entwickelten und beeinträchtigten Regionen sollen reduziert werden. Zur Erhöhung der europäischen Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt soll die wissenschaftliche und technologische Basis der europäischen Industrie gestärkt werden. Über die Folgen eines negativen Ausgangs der Abstimmung in Irland wagt in Brüssel niemand öffentlich nachzudenken. Der mühsame Prozeß der EG–Reform wäre vorläufig gestoppt, die Rolle Irlands in der EG jedoch nicht in Frage gestellt. Ein theoretisch mögliches Ausschlußverfahren wäre in der Gemeinschaft nicht durchzusetzen. Im Gegenteil. Andere Länder wie Dänemark, die den europäischen Großmachtplänen kritisch gegenüberstehen, könnten dem irischen Beispiel folgen. Praktische Konsequenzen für die Koordinierung einer gemeinsamen Sicherheits– und Rüstungspolitik sind allerdings nicht zu erwarten, da Absprachen auch ohne das neue Gremium EPZ stattfinden. Michael Fischer