Freilandtest mit manipulierten Viren

■ US–amerikanisches Forschungsinstitut spritzte genmanipulierte Viren in argentinische Kühe / Keinerlei Vorsichtsmaßnahmen für Farmarbeiter / Argentinien war nicht informiert / US–Gesetze ausgetrickst

Von Michael Fischer

Berlin (taz) - Wie das älteste biotechnologische Institut der USA, Wistar, jetzt zugegeben hat, unternahm es zusammen mit der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation letzten Sommer in Argentinien ohne Wissen der argentinischen Regierung Freilandver suche mit genmanipulierten Viren. Beamte der zuständigen US– Kontrollkommission erklärten, es sei das erste Mal, daß ein US–Forschungsinstitut die in den USA geltenden Bestimmungen für Freilandversuche zu umgehen versuchte und auf ein Drittweltland auswich. In Argentinien gibt es noch keine Bestimmungen für Versuche mit genetisch veränderten Organismen. Bei dem Test waren 20 Kühe mit einem genetisch veränderten Impfstoff gegen Tollwut gespritzt worden. Jack Doyle, ein Gentechnologie–Experte des Instituts für Umweltpolitik in den USA, erklärte, der Versuch sei deshalb so gefährlich, weil die Auswirkungen des künstlich geschaffenen Anti–Tollwutviruses nicht bekannt seien. Es bestünde die Gefahr, daß die Personen, die die Kühe betreuen oder deren Milch trinken, krank würden. Wie das argentinische Gesundheitsministerium erklärte, hatte das in Philadelphia ansässige Institut es nicht für nötig empfunden, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Die vier Farmarbeiter, die die Kühe täglich melkten, waren nur davor gewarnt worden, die von den Impfungen herrührenden Pusteln zu berühren. Außerdem sollten sie sich sofort melden, wenn sich in der Haut ihrer Hände Riße bildeten. Die Wissenschaftler in Philadelphia arbeiten nach Angaben ihres Direktors, Dr. Hilary Koprowski, seit 1983 an der Entwicklung des genetisch veränderten Tollwutimpfstoffs. Fortsetzung auf Seite 6 Sie gehen davon aus, daß das neue Mittel weniger anfällig für Mutationsprozesse ist. Es soll die bisherigen Risiken ausschalten. Dem Virus des seit langem bekannten Impfstoffs Vaccinia wurde dabei ein Gen des Tollwutviruses eingepflanzt, das den Virus veranlaßt, ein Protein auf seiner Oberfläche zu produzieren. Das Protein wiederum veranlaßt das Immunsystem der Tiere, Antikörper gegen den Virus zu bilden. Wie das französische Magazin „LEvenement du Jeudi“ Anfang November meldete, waren die in Straßburg ansässige Transgen und der von Rhone–Poulenc kontrollierte Impfstoffproduzent Merieux, an den Versuchen beteiligt. Das heimliche Projekt der Genforscher flog Anfang September auf, als ein Mitarbeiter die Regierung Argentiniens informierte. Am 25. September verbot Argentinien daraufhin die Fortsetzung des Experiments. Die zuständigen US–Behörden streiten sich seitdem über die Konsequenzen, die sie aus dem Ausweichen Wistars auf Argentinien ziehen sollen. Kritiker der Gentechnologie wie Jack Doyle empfehlen, die Lücke in den Bestimmungen zu schließen. Verfechter der neuen Technologie wie Dr. Kingsbury, ein Mitarbeiter der US–Kontrollkommission, sehen hingegen in dem Verhalten der Wissenschaftler einen Grund, die angeblich zu strengen Bestimmungen in den USA aufzuweichen. Die Wistar– Wissenschaftler ihrerseits halten die Aufregung für überzogen. Ihrer Meinung nach war es gar nicht nötig, die argentinische Regierung von dem Versuch zu unterrichten, da es ja in Argentinien keine Bestimmungen zu Versuchen mit genmanipulierten Organismen gibt.