I N T E R V I E W „Ich habe keine Angst gehabt“

■ Interview mit dem Planer des französischen Atomprogramms Remy Carle Französische Atomkraftwerke haben nur einen Chef: Remy Carle. Als sogenannter „Ausrüstungsdirektor“ des staatlichen Elektrizitätsmonopols „EDF“ ist Carle Konstrukteur und Planungschef des französischen Atomkraftprogramms. Interviews gehören nicht zu seinen Gewohnheiten.

taz: Monsieur Carle, sind Sie ein Nukleokrat? Remy Carle: Wenn Sie so wollen. Deshalb bekomme ich keinen roten Kopf. Das Atom hat von Anfang an meine Karriere bestimmt. Seit wann? Pierre Guillaumat hat mich 1955 ins Kommissariat für Atomenergie geholt. Der Mann, der die französische Atombombe baute. Natürlich. Wir haben gut daran getan, die Bombe zu bauen. Sonst würden wir hier vielleicht nicht zusammen sitzen. Wir wären vielleicht alle sowjetisch und hätten Tschernobyl–Reaktoren. Wären Sie Berliner gewesen nach Tschernobyl, hätten Sie ihren Kindern Salat gegeben? Ob ich Berliner oder Franzose bin, macht keinen großen Unterschied. Ich habe meinen Kindern Salat gegeben und keine Angst gehabt. Auf Tschernobyl hat jedes Land auf seine Art emotional reagiert. Nach Cattenom gibt es keine Zweifel? Wenn man in der deutschen Presse liest, Cattenom hätte ein Tschernobyl sein können, kann man sich nur an den Kopf fassen. Warum haben Sie die Öffentlichkeit nicht sofort, als man die Feuerwehr rief, von dem Unfall informiert? Man wird nicht die Presse rufen, wenn sich jemand auf der Treppe ein Bein bricht. Das geht die Öffentlichkeit nichts an. Die Feuerwehr werden wir noch öfter brauchen, in Cattenom und anderswo. Schon 1978 bezeichnete der oberste französische Kommissar für Atomsicherheit, Jean Servant, den Standort Cattenom aufgrund der Bevölkerungsdichte ringsherum als unhaltbar. Wir bauen Atomkraftwerke nicht zum Vergnügen, sondern zum Nutzen der Leute. Da schockiert es mich überhaupt nicht, daß man ein Atomkraftwerk in die Nähe der Verbraucher stellt. Sicherlich würde uns eine Evakuierung um Cattenom vor ein delikates Problem stellen. Aber das muß eine absolut hyphotetische Möglichkeit bleiben. Warum wollen sie die Höchstgrenze für radioaktive Abgaben in Cattenom nicht wie von der Bundesregierung gewünscht von 15 Curie auf drei Curie verbindlich heruntersetzen? 15 Curie sind doch gut. Warum soll das, was für die Leute im Rhonetal gut ist, nicht auch für die Leute an der Mosel gut sein. Nur unter dem Vorwand, daß sie Deutsche oder Luxemburger sind? Wo kommen wir da hin? Man erweckt die alten Nationalismen. Umgekehrt stellt sich das Problem genauso. Warum sollten Deutsche höhere französische Abgabewerte akzeptieren? Okay, das ärgert sie. Wir verstehen, daß die Deutschen psychologisch zerbrechlich sind. Deshalb tun wir was für sie. Wir sagen, daß wir - soweit möglich - drei Curie nicht überschreiten werden. Wie wollen Sie das Vertrauen der Bundesdeutschen in ihre Anlagen wiedergewinnen? Das ist schwierig. Ich bin nicht Dr. Freud. Die deutschen Elektrizitätsunternehmen müssen plausibel machen, warum sie Atomkraftwerke bauen. Und wenn ihnen das nicht gelingt? Dann helfen wir ihnen. Wir sind alle solidarisch. Interviewer: Georg Blume und Mycle Scheider