DER FRANKFURTER OPEC-PROZESS VOR DEM URTEIL
: Kronzeugenregelung als Gnadenakt

Ein verpfuschtes Leben, ohne Perspektiven, verloren in selbst auferlegter Isolation im Untergrund. 24 Jahre Angst, versteckt vor der Polizei und vor ehemaligen Kampfgefährten. Der Opec-Attentäter Hans-Joachim Klein ist ein gebrochener, kranker Mann. Und: Klein ist ein Angeklagter, der es dem Gericht nicht leicht gemacht hat. Zu viel ging da in seinem Kopf durcheinander an Verdrängung, Erinnerungslücken und nur von ihm Vermuteten. Dabei ist unzweifelhaft: Klein ist des gemeinschaftlichen dreifachen Mordes schuldig.

Selten hat sich eine Staatsanwaltschaft in einem Terroristenprozess dennoch so sehr für einen Angeklagten verwandt. Für Staatsanwalt Volker Rath ist Klein ein Kronzeuge, obwohl die Kronzeugenregelung seit Ende 1999 nicht mehr existiert, zur Tatzeit 1975 noch nicht in Kraft war und die Aussagen materiell kaum Neues enthielten. Nun wird das Gericht zu werten haben, ob Klein wirklich zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen hat. Der Vorsitzende Richter, Heinrich Gehrke, gilt als kluger, aber eigenwilliger Mann. Er könnte in engen Grenzen Gnade und Erbarmen zeigen mit dem reuigen Sünder, der an jedem Verhandlungstag den Nacken beugte, als gehe es aufs Schafott.

Strafmildernd könnte Gehrke – Kronzeugenregelung hin oder her – Kleins Ausstieg aus dem Terrorismus 1977 werten und die Tatsache, dass der Angeklagte vor geplanten Attentaten warnte und öffentlich zur Abkehr vom Terror aufrief. Die Kammer könnte anerkennen, dass Klein sich, wenn auch zögerlich, entschlossen hatte, sich zu stellen. Sie könnte auch seine Rolle beim Attentat als das bewerten, was sie zu sein scheint: als Aktion eines Menschen, der Bildungslücken und Minderwertigkeitskomplexe durch Großmäuligkeit und vermeintlichen Heldenmut kompensieren wollte. Und der im internationalen Terrorismus als der ideale Befehlsempfänger verheizt wurde. Folgt das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft – 14 Jahre Gefängnis als Richtlinie –, so könnte Klein in einem Fall, in dem ein „lebenslänglich“ eigentlich unumgänglich gewesen wäre, als Freigänger bald einen Neuanfang versuchen. HEIDE PLATEN