Im Schatten der Securitate

Rumäniens Politiker streiten über die Öffnung der Geheimdienstakten. Eine Aufarbeitung interessiert nur wenige  ■ Von Keno Verseck

Bukarest (taz) – „Ich bin stolz darauf, daß ich meine patriotische Pflicht getan habe.“ Mit diesen Worten kommentierte der Bürgermeister des siebenbürgischen Kronstadt (Brasov), Ioan Ghise, in der letzten Woche seine Vergangenheit als Spitzel der kommunistischen Geheimpolizei Securitate. Sie war ans Tageslicht gekommen, weil Ghise kurz zuvor die Partei gewechselt hatte: Aus Rache gegen den Übertritt hatten seine ehemaligen Parteikollegen die Verpflichtungserklärung Ghises publiziert. Reaktionen der Öffentlichkeit blieben bislang aus. Sein Amt wird Ghise vorerst nicht aufgeben.

Der Fall ist charakteristisch dafür, wie Rumänien mit seiner Securitate-Vergangenheit umgeht. Mehr als acht Jahre nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu ist Rumänien eines der wenigen osteuropäischen Länder, das seine ehemaligen Geheimdienstakten offiziell noch immer verschlossen hält. Inoffiziell dagegen sind diese seit Jahren ein Mittel für schmutzige politische Spiele. Anderseits gilt es unter vielen Politikern – unabhängig von ihrer Parteienzugehörigkeit – nicht als Schande oder Stigma, für die Securitate gespitzelt zu haben. Denn das politische und gesellschaftliche Interesse an einem offenen Umgang mit der Securitate-Vergangenheit ist gering.

Das zeigt sich in diesen Tagen auch im Parlament. Dem Senat, der Oberkammer, liegt ein Gesetzesprojekt des Abgeordneten Constantin Ticu Dumitrescu vor, das eine Aktenöffnung sowie eine überprüfung zahlreicher Amtsinhaber in Staat und Verwaltung auf ihre Vergangenheit vorsieht. Vier Jahre hat es gedauert, bis der Text im Dezember letzten Jahres überhaupt als Gesetzesprojekt zugelassen wurde, weitere vier Monate bis zum Beginn der Debatte. Schon allein deshalb sieht Dumitrescu wenig Chancen für eine Verabschiedung des Gesetzes: „Es gibt keinen politischen Willen zur Aufdeckung der Verbrechen, die unter der kommunistischen Diktatur geschehen sind“, sagt er. Für eine ähnliche Kritik wurde Dumitrescu im letzten Herbst aus der regierenden Christdemokratischen Bauernpartei ausgeschlossen.

Prinzipiell stimmen zwar die meisten Parlamentsparteien darin überein, Betroffenen einen Zugang zu ihrer Personalakte zu gewähren. Ein diesbezüglicher Artikel aus dem Gesetzesprojekt ist bereits abgestimmt worden. Darin erschöpft sich jedoch der Wille der Mehrheit. Eine Überprüfung von Amtsinhabern in Staat und Verwaltung lehnen die meisten ab, obwohl dies ohnehin keine praktischen Konsequenzen haben soll, wie etwa einen Rücktritt früherer Spitzel von ihren jetzigen Ämtern. Radu F. Alexandru, Abgeordneter der Demokratischen Partei, des zweitgrößten Koalitionspartners, bringt die Position auf den Punkt: „Es geht nicht um individuelle Schuld, sondern um die Schuld des Systems, in dem wir gelebt haben. Die Menschen haben das Recht, ihre Vergangenheit zu kennen. Das darf aber nicht zum Vorwand für eine Hexenjagd werden.“

Wohl nicht zufällig traten kurz vor Beginn der Debatte um das Aktengesetz im Senat die Direktoren der beiden wichtigsten rumänischen Securitate-Nachfolgegeheimdienste im Fernsehen auf. Costin Georgescu, Chef des rumänischen Innengeheimdienstes SRI, und Catalin Harnagea, Chef des Außeninformationsdienstes SIE, behaupteten, daß die Listen der ehemaligen Securitate-Informanten und auch ein Großteil der ehemaligen Personalakten längst vernichtet seien – Behauptungen, die, wenn sie wahr wären, das Gesetz zur Aktenöffnung weitgehend gegenstandslos machen würden.

Sogar Abgeordnete der früher regierenden neokommunistischen Partei der sozialen Demokratie des ehemaligen Staatschefs Ion Iliescu zweifeln am Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen. So etwa sagt der ehemalige Chef der parlamentarischen Kommission zur Kontrolle der Geheimdienste, Vasile Vacaru, daß die Listen mit den Namen der Securitate-Informanten und viele Personalakten auf Mikrofilmen existieren.

Doch selbst Staatspräsident Emil Constantinescu spricht sich gegen eine allzu tiefgreifende Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit aus, obwohl er nach seinem Wahlsieg im letzten November versprochen hatte, daß die Wahrheit darüber ans Tageslicht kommen werde.

Karoly Szabo, Abgeordneter des Verbandes der ungarischen Minderheit, der sich im Parlament jahrelang vergeblich für eine Reform der Securitate-Nachfolgegeheimdienste eingesetzt hat, zieht eine bittere Schlußsfolgerung: „Die ehemalige Securitate hat nicht aufgehört zu existieren, auch wenn sie heute keine organisierten Strukturen mehr besitzt. Ihre Leute arbeiten nicht nur in den heutigen Geheimdiensten, sondern beeinflussen das gesamte öffentliche Leben. Eine Öffnung der Akten würde diese Kontinuität beweisen. Deshalb gibt es kein Interesse an einem solchen Gesetz.“