■ Gespräch mit Barbara Ehrenreich über die religiöse Dimension von Gewalt und Kriegsritualen
: Den Krieg mit seinen eigenen Waffen bekriegen

taz: Als ich Ihr Buch las, zum Beispiel Ihre Darlegungen über die Grausamkeit prähistorischer Göttinnen, habe ich die allerletzten Reste meines Glaubens an weiblichen Pazifismus verloren. Der weibliche Pazifismus scheint nur die andere Seite der Medaille des männlichen Bellizismus zu sein. Wie sehen Sie das?

Barbara Ehrenreich: Nun, wir wissen überhaupt nicht, ob diese archaischen Göttinnen etwas aussagen über den damaligen Status von Frauen. Aber es gab eine Zeit, in der Gesellschaften nicht diese Dichotomie männlicher Gewalt versus weibliche Sanftmut erlebten. In den 70er Jahren wurden die Göttinnen in bestimmten feministischen Strömungen neuentdeckt und gefeiert, und sie waren ja so nett! Als ich entdeckte, wie gewalttätig und machtvoll sie wirklich waren, freute mich das.

Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Männern und Frauen im Umgang mit Gewalt?

Die Männer scheinen in höherem Grad verantwortlich zu sein für individuelle Gewalt: Vergewaltigung, Verbrechen. Aber die Fähigkeit, sich für den Krieg zu begeistern, wird auch von Frauen geteilt. Ich glaube jedenfalls nicht mehr daran, daß an unserem Geschlecht etwas Besonderes ist, das die die Welt retten könnte. Ich war schon sehr desillusioniert, als ich las, wie die britischen Sufragetten zu Beginn des Ersten Weltkrieges sofort mit ihrem Kampf für das weibliche Wahlrecht aufhörten und kriegsunwillige Männer als Drückeberger brandmarkten.

Wann hatten Sie die Idee zu Ihrem Buch?

Auslöser war die Gelegenheit, ein Vorwort für die englische Ausgabe von Klaus Theweleits „Männerphantasien“ zu verfassen. Ich war fasziniert von diesem Buch, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin. Bei den faschistischen Freicorps- Männern in der Weimarer Republik war die Faszination überdeutlich, die für Männer vom Krieg ausgehen muß. Von dieser Begeisterung aber las ich nirgendwo etwas, und ich fand, es war hohe Zeit, daß mal eine Frau das näher beleuchtet.

Wo stimmen Sie nicht mit Theweleit überein?

Er zeigt die Furcht dieser Freicorps- Männer vor Frauen, ihren Haß auf Frauen. Das ist hochinteressant. Dennoch gibt es eine Erklärungslücke zwischen diesem Frauenhaß und dem Holocaust. Diese Männer haben keine Frauen getötet, sondern Juden.

Hat sich Ihre Einstellung zum Krieg durch das Buch geändert?

Ich habe verstehen gelernt, daß die Gefühle, die dem Krieg entgegengebracht werden, nicht Haß und Aggression sind, sondern sehr noble Leidenschaften: Selbstlosigkeit, Aufopferungsbereitschaft. Das ist wichtig für mich, denn ich versuche in vielen verschiedenen Situationen Leute zu überzeugen, gegen den Krieg zu sein. Und: Ich kann nichts mehr anfangen mit der pazifistischen Sichtweise: Da ist etwas in uns, was sehr haßerfüllt ist, wir müssen uns ändern, um sanftmütig zu werden. Wir sollten das tun. Aber dennoch habe ich inzwischen mehr Respekt für die Leidenschaften des Krieges, für diesen kämpferischen Geist. Wir müssen genau das gegen den Krieg einsetzen! Wir können all diese mächtigen religiösen Gefühle benutzen und gegen eine teuflische Institution richten. Wir müssen den Krieg bekriegen.

Es gibt aber auch die Notwendigkeit, gegen Tyrannen vorzugehen.

Das berührt die Eigendynamik des Krieges. Es ist gerechtfertigt, jemanden zu bekämpfen, der andere zerstört.

Zum Beispiel Saddam Hussein?

Das gegenwärtige Problem der USA ist die Knappheit an realen Feinden seit Ende des Kalten Krieges. Also wurde dringend ein neuer Feind gesucht. Bill Clinton wurde 1992 gewählt nach dem Bombardement auf Bagdad, das er mitunterstützte und mit dem er seine „Männlichkeit“ bewies. Die aktuelle Golfkrise verstehe ich allerdings nicht ganz, ich bin weg von zu Hause, mir fehlen wichtige Informationen.

In Ihrem Buch stellen Sie die Theorie auf, daß Krieg ein sich selbst reproduzierender Prozeß ist – wo ein Land aufrüstet, tut es auch das andere –, eine Art Lebewesen, ein Raubtier. Wenn es so ist, dann hat die Menschheit doch keine Chance?

Wir haben doch schon in prähistorischen Zeiten die Raubtiere besiegt. Warum nicht dieses auch? Zu sagen, der Krieg ist ein Lebewesen, ist natürlich eine Metapher. Aber ich war frustriert, daß es in den Sozialwissenschaften keinen Weg gibt, sich selbst reproduzierende Institutionen zu erklären. Kapitalismus ist auch so eine Institution, er erscheint wie eine Naturgewalt. Aber ich denke, das ist eine sinnvolle Metapher, weil es der menschlichen Psyche leichter fällt, etwas gegen einen Feind zu organisieren, anstatt gegen irgend etwas Vages.

Sie sind also optimistisch?

Ja. Es gibt noch eine andere Analogie, die zum Menschenopfer. Viele Kulturen opferten ihre Kinder, ihre eigenen Leute, und fanden das eine heilige, wunderbare Sache, um die Götter zu besänftigen.

Ist der Krieg also eine Art Gott?

Ja, ein teuflischer Gott. Es gibt sehr viele Theorien über den Krieg, vielleicht sogar zu viele. Ich war nicht scharf darauf, diese Theorien zu komplettieren, mir ging es darum, Krieg im Kontext von Religion zu betrachten. Eines Tages werden wir auf den Krieg zurückschauen und sagen: Er schadet unserer Spezies nur.

Welche anderen Möglichkeiten jenseits des Krieges gibt es, öffentliche Ekstase zu zelebrieren?

In sozialen Bewegungen für Veränderung, gegen den Krieg, in Arbeitskämpfen. Auch ich hätte mir die Lust am Krieg nicht vorstellen können, wenn ich nicht immer wieder, Arm in Arm mit Gleichgesinnten, uniformierten und bewaffneten Männern entgegenmarschiert wäre. Interview: Ute Scheub