■ Schöner leben
: Die öffentliche Zeit

Das Fahrrad rollt Richtung Bürgermeister-Smidt-Brücke, denn zwecks Termin gilt es die Weser zu überqueren. Um zu prüfen, wie ich in der Zeit liege, riskiere ich einen Blick über den Lenker, um mich auf der Uhr am Brill nah der Sparkasse rückzuversichern. Zwölf Minuten zum Termin. Ruhiges festes Treten in die Pedale, aber gemach. Lieber nicht so zerzaust ausschauen, das wirkt seriöser.

Doch halt - die goldenen Ziffern an der St. Martini-Kirche, die mich an dem Panoramablick von der Brücke am meisten interessieren, lassen mir und dem Drahtesel bloß noch ganze sechs Minuten. Und das bei einer geschätzten Fahrzeit von noch acht, vorrausgesetzt der gemächliche Tritt wird beibehalten. Wo sind die Minuten geblieben? Vergangen sind sie ganz gewiß nicht. Durchatmen und in die Pedale treten, das Rad beschleunigt, fliegt dahin, die dunkelgelbe Ampel wird einkalkuliert. Lieber tot als zu spät.

Unfreundliche Handzeichen und lautes Hupen nicht persönlich nehmen. Rechts abbiegen und noch einen Blick auf die gigantische Uhr unter dem gigantischen Telenormaschild, denn wer weiß... Noch zehn Minuten? Verschnaufen, sogar ein wenig rollen lassen auf der Westerstraße ist drin, bis der Telenorma-Chronometer auf der Rückseite des Gebäudes Alarmierendes andeutet: das Treffen ist vor Stunden gewesen, nun haben wir Mitternacht. Ein Blick in den trüben Bremer Sommerhimmel – nein, Mitternacht ist es noch nicht. Wohl aber nur noch drei Minuten bis zum Termin, wie mir das Zeiteisen vor dem Becks-Gelände in der Sortillenstraße mitteilt. Ist nicht Unpünktlichkeit sowieso die Höflichkeit der Könige?

Ich sehne mich nach dem starken Staat, einem, der Gesetze erläßt, daß diese ganzen Uhren auf eine einheitliche Zeit geeicht werden. Besser alle gehen synchron völlig falsch als dieses Theater. Und es gäbe weniger Unfälle durch Leute, die eben noch in Eile schienen und nu auf einmal schlendern und anders herum. Mir doch egal, wie spät es ist. Als mein Rad Richtung Ständer rollt, erblicke ich unseren Fotografen. Der ist schon da, kein bißchen gestreßt, ja sogar ein wenig belustigt. Schließlich ziert sein Handgelenk eine Armbanduhr. Lars Reppesgaard