„Biete Schwein, suche Software“

Alternativbetriebe entdecken auf der Suche nach neuen Kooperationsmöglichkeiten auch das Bartergeschäft / Das Wachstum der Betriebsgrößen erschwert die Selbstverwaltung  ■ Von Michael Berger

Früher einmal hieß die Parole: „Laßt uns etwas zusammen machen“, heute sind die Ansprüche höher, folglich ist das Vokabular gewählter: „Kooperation und Vernetzung alternativökonomischer Betriebe und Projekte“, war die Tagung überschrieben, die in der vergangenen Woche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von selbstverwalteten Bildungseinrichtungen, Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben sowie Funktionäre ihrer Verbände unter dem Betondach der Evangelischen Akademie Bad Segeberg zusammenbrachte.

Die Gründung einer alternativen Industrie- und Handelskammer stand in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt noch nicht auf der Tagesordnung, dazu ist das Mißtrauen der selbstverwalteten Kleinunternehmen – einige tausend gibt es in Deutschland – gegen Zentralismus zu groß. Die Krise aber zwingt die Firmen zum Zusammenrücken.

Burghard Flieger, Organisator der Tagung und Vertreter der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise (AG Spak), versprach sich von dem Treffen wenigstens erste Schritte hin zu Institutionen, die die Marktpräsenz der Alternativen verbessern, Synergieeffekte zeitigen und letztlich auch politische Anerkennung erstreiten können.

Die Idee einer gemeinsamen Infrastruktur aller gutmeinenden Projekte dieses Landes ist so alt wie die Neue Linke – niemand weiß das besser als Rolf Schwendter. Der struppige Professor von der Gesamthochschule Kassel, gleichsam das Gedächtnis der Alternativbewegung, erzählte den Jüngeren von früher, von den 60ern, von sozialistischen Massenorganisationen (SOMAD), den Zusammenschlüssen der Buch- und Kinderläden, den Internationalismusgruppen und davon, daß die Hoffnung auf ein Zentralorgan der Linken und Alternativen einst in schnellem Wechsel „Großen Ratschlägen“, dem Netzwerk Selbsthilfe, den Grünen oder der Ökobank galten. Und er wies in aller Bescheidenheit darauf hin, daß er die Begriffe „Netzwerk“ und „Vernetzung“ für dergleichen Kooperationen erstmals verwandt habe – in seinem zu wenig beachteten Aufsatz „Entwurf für eine Gruppe 2000“ aus den 70er Jahren.

Die Ausführungen Schwendters waren der Auftakt zum Kernstück der Tagung zur „Alternativenversammlung“. Dieser Begriff stammt tatsächlich von ihm. Schon vor zwei Jahren unterbreitete Schwendter der interessierten Gegenöffentlichkeit den Vorschlag, Delegierte aller alternativen Projekte und Betriebe mögen sich regelmäßig an einem „logischen Ort“ treffen, dort „jene Gemeinschaftsaufgaben wahrnehmen, die als solche erkannt werden können“. Der Professor begründete seinen Entwurf mit der Weltlage. „Gerade in einer geschichtlichen Situation, die durch die Pulverisierung der osteuropäischen Farce eines ,realen Sozialismus‘ und durch den damit zusammenhängenden vorausschaubaren Machtzuwachs der US-amerikanischen, europäischen und japanischen Konzerne gekennzeichnet ist, kann es sich nicht darum handeln, die Pulverisierung innerhalb der Gesamtheit der alternativen Projekte zu verlängern.“

Die Bad Segeberger Alternativenversammlung war bescheidener, es sollten lediglich einige „Vernetzungsprojekte“ zur Diskussion gestellt werden. Initiator Flieger vertrat seinen Entwurf einer „Akademie für kollektives Management“, an der Wissen und Erfahrung aus alternativen und selbstverwalteten Betrieben zusammengetragen und weitervermittelt werden sollen. „Einsteiger in den Selbstverwaltungssektor bekommen identitätsstiftende Diskussionen kaum noch mit“, hat Flieger erkannt.

„Lobbying“ hieß die Gegenformel des Ökonomen Hans-Gerd Hottenbohm, Dortmunder Geschäftsführer des Selbstorganisationsverbandes „Netz“. Hinter dem Anglizismus verbirgt sich die Idee einer kollektiven Interessenvertretung der Betriebe und Projekte auf Bundesebene. Diese müsse Einfluß auf Wirtschafts- und Sozialpolitik nehmen und Fördertöpfe erschließen.

Aus Dresden kam der Plan zu einer „Europäischen Vernetzungsmesse“ – eine Gegenveranstaltung der Alternativbetriebe zum Europäischen Binnenmarkt. Auch das Unternehmen „Green Card“ versucht sich in internationalen Dimensionen: Seine Initiatoren wollen „umweltangepaßtem Wirtschaften“ durch „Bartergeschäfte“ Kreditmöglichkeiten erschließen: Ware gegen Ware, die Verrechnung erfolgt auf einem Konto, das geduldig auf den Schuldenausgleich wartet. Was in der Mainstream-Ökonomie „Röhren gegen Erdgas“ bedeutete, könnte bei den Alternativen heißen: „Biete Schwein, suche Software.“

Der „Arbeitskreis Frieden mit der Erde“ mochte sich nicht in solche Niederungen des alternativen Wirtschaftslebens begeben. Aus der Erkenntnis, daß die Bewohner der Industrieländer für das Gros der Probleme in der Welt verantwortlich sind, schlug diese Gruppe „Entwicklungsprojekte für den Norden“ vor. Selbstverwaltete Betriebe, Kommunen, Ökodörfer sollen dem reichen Norden „Wohlergehen statt Wohlstand“ vorleben – arm, aber reinlich. Die Entwicklungshelfer vertrauen auf die segensreiche Wirkung solcher „Stützpunkte“. „Denken wir doch nur einmal an die Kulturverändernde Ausstrahlungskraft, die einst die Klöster hatten!“ hieß es in einem Strategiepapier.

Den missionarischen Eifer teilt nur mehr ein Teil der Alternativen. Die Mehrheit hat andere Probleme. Ökonomische und solche, die das Selbstverständnis der Projekte betreffen. Die Zahl der Betriebe stagniert, die Zahl der Beschäftigten wächst. Kollektivmodelle aber funktionieren in den größer werdenden Unternehmen nicht mehr, die Selbstverwaltung unterliegt einem Erosionsprozeß. Die Vernetzung könnte in dieser Situation sinnstiftend wirken. Und wenn die Kooperation die Konkurrenz in Schach hält, wie es beispielsweise der Verbund der selbstverwalteten Fahrradbetriebe erfolgreich vormacht, wäre dies ein angenehmer Nebeneffekt.

So konzentrierte sich das Interesse der Tagungsteilnehmer auf die Entwürfe „Lobbying“ und „Akademie“ – Unternehmen von praktischem Nutzen und großem Integrationseffekt. Daß das Akademie-Projekt mit einer Tagung über „Ethik und Moral der Selbstverwaltung“ weiterverfolgt werden soll, zeigt indes, daß die Grundhaltung der Bewegung konservativ bleibt, auch wenn dem bescheidensten Krauter inzwischen Begriffe wie „Corporate“, „Identity“, „Marketingkommunikation“ und „Controlling“ flott über die Lippen kommen.