■ Zur Rolle der UNO in Somalia, Kambodscha und Bosnien
: Intervention – und was dann?

Angesichts der schwierigen Situation der UNO in Somalia, in Kambodscha und in Bosnien, stellt sich unweigerlich die Frage: Haben die KritikerInnen von Interventionen nicht doch recht, wenn sie sagen, militärische Einmischung verschlimmere die Lage der Menschen nur, die UNO versinke im undurchdringlichen „Morast“ gescheiterter Staatsbildungsversuche und verspiele all ihr Prestige, das sie durch neutrale Vermittlungsmissionen gewonnen hätte, durch unbedachte Militäraktionen?

Die UNO steht vor einer ganz neuen Situation: Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist sie handlungsfähiger geworden, sieht sich aber einer Vielzahl von Konflikten gegenüber, die aus dem Rahmen des Bisherigen herausfallen: sich auflösende Staaten, von Bürgerkriegen moralisch und politisch völlig zerrüttete Gesellschaften, ethnonationale Konflikte, Sezessionen, Chaos. Naturgemäß tut sich eine internationale Organisation aus Staaten besonders schwer, mit Nichtstaaten umzugehen, mit Gebilden ohne Grenzen, ohne Gewaltmonopol, ohne Staatlichkeit im neuzeitlich-europäischen Sinn.

Sehen wir uns die einzelnen Fälle an. Die Intervention der USA in Somalia mit ausdrücklicher Billigung und Unterstützung der Vereinten Nationen und die jetzigen Aktionen unter UN- Oberbefehl sind ethisch gerechtfertigt. Es ging um die Rettung von Menschen vor dem Hungertod. Schnöde materielle Interessen, das berühmte Öl, spielen keine Rolle. Und doch haben sich die UN- Truppen im somalischen Clan- Krieg verstrickt. Die Intervention war in einer Grauzone zwischen der militärischen Sicherung humanitärer Hilfslieferungen, was vor allem die USA wollten, und dem Wunsch der UNO, zusätzlich die Bürgerkriegsparteien zu entwaffnen, angesiedelt. Trotz aller Probleme ist die humanitäre Intervention gelungen. Wo früher Massenhunger herrschte, ist jetzt die Grundversorgung der Bevölkerung einigermaßen gesichert, die „Plünderungsrate“ bei Hilfsgütern ist von 70 Prozent auf fast Null reduziert. Damit hätte man sicher fortfahren können, es hätte sich allerdings dann das Problem eingestellt, daß eine Daueralimentierung durch internationale Hilfsorganisationen die Wirtschaftsstruktur eines Landes noch mehr ruiniert, als sie es in der Regel schon ist. Geht die UNO den zweiten Schritt und versucht, Staatlichkeit wiederherzustellen – und dazu gehört ohne Zweifel entweder ein Waffenstillstand oder die Entwaffnung der Konfliktparteien –, dann wird sie notwendig Partei. Das bedeutet Krieg gegen die Kriegsclans. Nun kann man argumentieren, die UNO solle solche Kriege nicht führen – und dafür sprechen gute Gründe –, dann muß man aber auch akzeptieren, daß nach Abzug der UNO-Truppen das Land wieder in dem Chaos versinkt, aus dem man es gerade herauszuführen begonnen hatte.

Der kambodschanische Fall ist etwas anders gelagert. Hier hatten die UNO-Truppen ja nie den Auftrag, den Bürgerkriegsparteien die Waffen aus den Händen zu nehmen, sie sollten vielmehr den Prozeß der Entwaffnung, zu dem sich die Konfliktparteien bereit erklärt hatten, überwachen. Auch hier steht die UNO vor dem Problem, Interimsverwaltung in einem Land auszuüben, dessen Staatlichkeit völlig zerrüttet ist. Auch hier sind die UN-Blauhelme oft ohnmächtig und haben nicht die Mittel, Verletzungen der Menschenrechte und der Friedensvereinbarungen zu verhindern. Wenn die Truppen stärker und besser in der Lage wären, aktiv die Region zu entmilitarisieren, so würden sie schnell in die gleiche Lage kommen wie in Somalia. Aber immerhin ist der Friedensprozeß noch nicht zu Ende, es ist nicht ausgeschlossen, daß die Roten Khmer sich wieder am Friedensprozeß beteiligen.

Auch der UN-Einsatz in Kambodscha spricht also nicht gegen Intervention, sondern belegt nur ihre Schwierigkeiten. Es müßte erst einmal plausibel gemacht werden, daß es ohne die UNO dem Land und den Menschen in Kambodscha besser ginge.

Zeigt der Fall Somalia, wohin es führt, wenn die UNO aktiv Krieg gegen Kriegsclans führt, so zeigt das Beispiel Bosnien, wohin es führt, wenn sie sich auf humanitäre Einsätze beschränkt. Werden die Hilfstransporte nicht verteidigt, geht nicht wenig an diejenigen, die für die Massaker und das Elend im Land hauptverantwortlich sind. Städte werden zu Schutzzonen erklärt, aber außer symbolischen Kontingenten von Blauhelmen schützt niemand die Menschen dort. Die UNO-Soldaten sehen zu, wie vor ihren Augen Menschen aus ethnischen Gründen ermordet werden. Das kann die Lösung auch nicht sein, selbst wenn die UNO allein durch ihre Präsenz viele vor dem unmittelbaren Tod retten konnte. Sie kann die Not nur abmildern, nicht verhindern.

Selbst wenn die UNO keine Fehler machte, bliebe trotzdem das Grundproblem: Ist Militär ein geeignetes Mittel, um in Chaos- Regionen lokale Kriegsherren zu entwaffnen und einigermaßen geordnete Verhältnisse wiederherzustellen? Zieht man eine vorläufige Schlußfolgerung aus den drei Fällen, so spricht sie meines Erachtens nicht gegen militärische UN-Interventionen, zumindest nicht gegen den bewaffneten Schutz humanitärer Hilfe. Wenn die Weltgemeinschaft sich für längerfristige Konfliktregelungen stark macht, dann darf sie auch weitergehende kriegerische Interventionen nicht prinzipiell ausschließen. Das bedeutet die Entscheidung, Leben von Soldaten der UNO einzusetzen, um des Versuchs willen, das Leben vieler zu retten – und es werden auch Unbeteiligte Opfer sein. Jede Entscheidung, für militärische Intervention wie dagegen, hat Tote zur Konsequenz.

In allen drei Fällen erfolgte die UN-Intervention zu spät. Und zwischen Beschlußfassung und der praktischen Umsetzung vergeht viel zuviel Zeit: eine Aufforderung an alle Konfliktparteien, so weit wie möglich auf dem Schlachtfeld die eigene Ausgangsposition für mögliche politische Lösungen zu verbessern.

Es kommt darauf an, die Vereinten Nationen politisch und organisatorisch zu stärken, damit sie in die Lage versetzt werden, militärische Operationen selbst durchzuführen. Sie müssen ja bisher stets bei den Staaten anfragen, ob diese ihnen Kontingente zur Verfügung stellen. Unabhängig von der Auseinandersetzung darüber, wie weit die UNO-Soldaten gehen dürfen, muß der Vorschlag von Butros Ghali mehr Unterstützung finden, die Staaten sollten vorab den Vereinten Nationen Streitkräftekontingente zuordnen. Zu den Aufgaben dieser Soldaten würde vorrangig gehören, Waffenstillstände und Verhandlungsprozesse gegen gewaltsame Störungen abzusichern und humanitäre Hilfe beziehungsweise Schutzzonen auch gegen Widerstand durchzusetzen. Bisher hat sich nur Frankreich bereit erklärt, solche Truppen der UNO vorab zur Verfügung zu stellen. Nach Klärung der Verfassungslage und nach Änderung des Grundgesetzes sollte sich Deutschland dem anschließen. Aber niemand soll glauben, daß damit politisches Fehlverhalten der UNO ganz verhindert würde und es eine Erfolgsgarantie geben könnte. An Einmischung und Intervention, auch um den Preis des Scheiterns, führt kein Weg vorbei, wenn die Zielvorstellung einer Weltinnenpolitik nicht endgültig auf dem Altar der Renationalisierung geopfert werden soll. Dazu braucht es einen langen Atem, ohne sichere Aussicht auf Erfolg. Peter Schlotter

Projektleiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main