■ Gegen eine Geschichtsklitterung für durchsichtige Zwecke
: Bosnien und die deutsche Politik

Der Vorwurf des amerikanischen Außenministers Christopher an die Adresse Bonns, erst die von den Deutschen erzwungene Anerkenung Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas habe den Krieg im zerfallenden Jugoslawien losgetreten, ist nichts als der Versuch, Spuren zu verwischen. Nachdem sich abzeichnet, daß nun der schlechteste aller „Kompromisse“, nämlich die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas entlang der Vorstellungen serbischer und kroatischer Nationalisten Wirklichkeit wird; nachdem also der gesamte Westen, auch die USA, die eigenen Werte gründlich verraten haben; nachdem sich das westliche Lager in den Augen der Welt über alle Maßen blamiert hat, muß ein Sündenbock gefunden werden: Deutschland.

Sicherlich, die deutsche Außenpolitik hat sich in dieser ersten ernsten Bewährungsprobe nach dem Zusammenbruch der bipolaren Welt nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie versprach gerade Kroatien und Bosnien-Herzegowina viel, um nichts zu halten. Aber Vorwürfe, wie sie jetzt der amerikanische Außenminister formulierte, sind schlichtweg irreführend. Langsam muß man sich fragen, welche Interessen hinter diesen Anwürfen stecken.

Genschers Festhalte-Linie

Denn Bonn deckte bis weit in den Herbst 1991 hinein die allgemeine und falsche europäische Politik Jugoslawien gegenüber. Noch mit der Ausrufung der kroatischen und slowenischen Unabhängigkeit am 26. Juni 1991 waren in Bonn keine Zeichen für einen Alleingang zu entdecken. Deutschland war im Vorfeld des Konfliktes in Jugoslawien sehr darum bemüht, die gesamtjugoslawische Politik des damaligen Ministerpräsidenten Marković zu unterstützen. Dessen Ziel, die Demokratisierung des Gesamtstaates durch Wahlen für ein gesamtjugoslawisches Parlament abzusichern, wurde 1989 endgültig durch den serbischen Parteichef Slobodan Milošević zu Fall gebracht, nicht jedoch durch Bonn. Die damalige Anbindung des Dinar an die DM brachte nicht unerhebliche Kosten für die Bundesbank. Diese Anbindung hatte jedoch nur mit dem Ziel, Jugoslawien als Ganzes auf den Weg der Reformen zu bringen, Sinn gemacht. Dagegen wurden aufgrund der Politik Milošević' – der sich durch gesamtjugoslawische Wahlen zurecht in seiner Macht beschnitten sah – Wahlen in den Republiken angesetzt, bei denen dann die jeweiligen Nationalisten sich durchsetzen konnten.

Die europäische, auch die deutsche Politik zeigten sich dieser Lage nicht gewachsen. Der Vorschlag Tudjmans, eine Konföderation Jugoslawien zu gründen, fand wenig Unterstützung, noch immer wollte Europa, auch Deutschland, den Gesamtstaat Jugoslawien als Föderation zusammenhalten, eine starke Zentralregierung schien mehr politische und wirtschaftliche Stabilität zu versprechen – eine glatte Fehlkalkulation, wie sich herausstellte. Es wurde nicht einmal versucht, für die nun schon offen zutage tretenden Konfliktfelder Lösungsvorschläge zu erarbeiten, den beiden nördlichen Republiken blieb nichts anderes übrig, als sich von der Föderation loszusagen. Die fehlende Sensibilität der EG wurde offenbar, als der damalige EG-Präsident Delors noch kurz vor der Ausrufung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens einen Milliardenkredit in Belgrad ablieferte. Das wurde von der Armee als Freibrief verstanden, den jugoslawischen Staat gewaltsam zusammenzuhalten.

Noch im Sommer 1991, als der slowenische Krieg schon beendet war und die jugo-serbische Armee ihre Angriffe auf Kroatien systematisierte, hielt Genscher sich bedeckt. Erst nach dem Fall von Vukovar, erst nachdem über 600.000 Menschen vertrieben und auf der Flucht waren, erst nachdem Dubrovnik beschossen und die Gefahr bestand, daß Kroatien vollständig vernichtet würde, wuchs der öffentlliche Druck. Die Debatte um die Anerkennung, die vor allem durch den österreichischen Außenminister Mock vorangebracht worden war, zeigte Wirkung. Schon im November willigte Milošević ein, in die von Serbien in Kroatien eroberten Gebiete UNO-Truppen zu installieren und den offenen Krieg vorläufig zu beenden. Im Gegenzug erzwang die deutsche Diplomatie die Entscheidung des kroatischen Parlamentes am 16.12.1992, die Minderheitenrechte für die in Kroatien lebenden Serben zu garantieren. Mit dieser Entscheidung war der Weg frei für die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, die Anerkennung der beiden Staaten für den 17.1.1992 auszusprechen. Mit der Anerkennung war der Krieg in Kroatien zunächst einmal eingefroren worden. Und mit der Installierung von Truppen der UNO tauchte die Hoffnung auf, daß sogar die im Vance-Plan für Kroatien getroffenen Vereinbarungen – unter anderem die Entwaffnung der Freischärlerarmeen, Rückkehr der Vertriebenen – durchgesetzt werden könnten.

Die USA und die UNO

Was ist es nun, was den US-Außenminister Christopher so auf die Palme bringt? Er sollte sich daran erinnern, daß es der damalige amerikanische Außenminister Baker war, der im März 1992 den bosnisch-herzegowinischen Präsidenten Izetbegović ermunterte, den Weg in die Unabhängigkeit zu gehen. Die Lage in Bosnien-Herzegowina war in der Tat schon unerträglich geworden, das Land mußte sowohl Soldaten für die jugo-serbische Armee wie auch finanzielle Mittel für die Politik Milošević' bereitstellen. Die Anerkennung der Unabhängigkeit durch die EG und die USA war eine zwangsläufige Konsequenz. Daß mit dem Wechsel im amerikanischen Außenamt im Juni 1992, mit dem Aufstieg des ehemaligen Unterstaatssekretärs Eagleburger in das Amt des Außenministers, die von Baker gegenüber Izetbegović gegebenen Versprechungen nicht erfüllt wurden, gehört auch zur Geschichte des Krieges in Bosnien. Denn Eagleburgers proserbische Haltung hat ja späterhin viele Vorschläge für härtere Maßnahmen gegenüber der serbischen Aggression verwässert.

Es sollte auch daran erinnert werden, daß durch die zögernde Haltung der UNO der Vance-Plan in Kroatien niemals umgesetzt werden konnte. Gerade bei der UNO-Politik in Kroatien – wie auch später in Bosnien – wurde deutlich, daß es in der Weltorganisation Bestrebungen gibt, die serbische Eroberungspolitik zwar nicht offen gutzuheißen, ihr jedoch diplomatisch Rückendeckung zu verschaffen. Insbesondere die Rolle der britischen Diplomatie wurde hier in Deutschland unterschätzt. Die Unterhändler Carrington und Owen verstanden es, in entscheidenden Momenten der serbischen Politik mittels neuer Verhandlungsvorschläge Atempausen zu verschaffen. Bei der britischen Jugoslawienpolitik handelt es sich um eine auf langen Traditionen fußende Interessenssphärenpolitik. Zu deren Zielen gehörte, mit allen Mitteln den jugoslawischen Gesamtstaat aufrechtzuerhalten, und als dies wegen der „verdammten deutschen Anerkennungspolitik“ nicht gelang, zumindest Serbien zum „stabilisierenden Faktor“ auf dem Balkan aufzubauen.

Der Preis der Stabilität

Diese Art der „Stabilität“ ist mit einem hohen Preis erkauft worden. Hunderttausende sind ermordet worden, zwei Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Die deutsche Politik gegenüber Bosnien-Herzegowina ist angesichts dieser Tatsachen ebenfalls beschämend ausgefallen. Mit dem Amtsantritt Kinkels verwischten sich ihre Konturen, die Bundesregierung versuchte nicht einmal, im Prozeß der Verhandlungen über den Vance-Owen-Plan, den Interessen der bosnischen Regierung unter Präsident Izetbegović in den internationalen Gremien eine Stimme zu verleihen. Um die Gewichte zurechtzurücken, hätte es vielleicht schon genügt, den Vance-Owen-Plan einer fundierten Kritik zu unterziehen und Dissenz anzumelden, um die Fixierung der internationalen Politik auf die von serbischer und später auch kroatischer Seite taktisch geführten Verhandlungen zu unterlaufen. Tatsache ist, daß mit dem Wegtauchen der deutschen Regierung aus der internationalen Debatte ein politisches Vakuum entstehen konnte, das auf die nun bekannte Weise gefüllt worden ist. Einschwenken auf die Führungsmacht USA als Politikersatz.

Für eine offene Debatte

Was bisher gefehlt hat, ist eine breite außenpolitische Debatte in der Gesellschaft. Es geht nicht an, daß ein offensichtlich überforderter Außenminister und ein Außenministerium, dessen Beamte nicht gerade vor Tatkraft und Kreativität strotzen, das Land in eine gefährliche Isolierung führen, weil sie es versäumen, Grundsätze zu formulieren und sich scheuen, auch zu bestimmten prinzipiellen Fragen, Konflikte mit Bündnispartnern einzugehen. Mit dazu beigetragen hat die Verwirrung in der publizierten Öffentlichkeit. Die Eilfertigkeit, mit der gerade die deutsche Linke die britische Außenpolitik in bezug auf den Krieg auf den Balkan unterstützt hat, liegt auch darin begründet, daß sich viele Oppositionelle damit zufriedengeben, die Regierungspolitik in Bausch und Bogen zu verwerfen, ohne konsistente eigene Konzeptionen vorweisen zu können. Die Orientierung an alten Glaubenssätzen und die einfache Negation der im Außenministerium betriebenen Politik reichen nicht aus, um Oppositionspolitik zu formulieren. Die Rolle Deutschlands in einem sich wandelnden Europa muß neu definiert werden, und zwar von allen gesellschaftlichen Kräften. Die Erwartungen vor allem der bosnischen Bevölkerung sind tief enttäuscht worden – sie muß leiden, auch weil die deutsche Politik und Gesellschaft ihr gegenüber versagt hat. Diese Kritik trifft jedoch nicht nur auf Deutschland, sondern ebenso auf die Vereinigten Staaten von Amerika und andere europäische Staaten zu. Erich Rathfelder