Jesus war kein Schwede

■ Viel Lärm um nichts: Martin Scorseses „The Last Temptation of Christ“ ist die Aufregung nicht wert

Marcia Pally

Fundamentalisten schickten Tausende von Briefen, auf dem ganzen Kontinent brachen Proteste aus, Kinoketten im Süden weigerten sich, den Streifen zu übernehmen, und die vom rechten Flügel drohen, jedes Kino zu boykottieren, das den Film zeigen will. Zeffirelli legte sich mit den Filmfestspielen in Venedig an, und natürlich sind wieder mal die Juden schuld. Aber ist Martin Scorseses „Die Letzte Versuchung Christi“ die Aufregung wirklich wert? Eine Frau, die aus der Premiere kam, erzählte dem National Public Radio, Die Versuchung sei die Quintessenz sämtlicher Jesusfilme. Besser hätte es kein Kritiker sagen können. Die Versuchung ist ein mässig interessanter Film, mit ein paar charmanten Ideen über ein Thema, was wenig mit dem täglichen Leben der meisten Leute zu tun hat.

Soweit ich es mitkriege, kümmern sich meine Zeitgenossen um Ratenzahlungen und Schulprobleme, um ihr Gewicht und ihr Geld, um Sex und Geschäfte. Aber sie zerbrechen sich wohl kaum den Kopf über die göttlich-menschliche Natur einer Person, die seit 2.000 Jahren tot ist. Auf Cocktail-Parties und im Wartezimmer meines Zahnarztes kommt das Thema einfach nicht vor.

Noch abwegiger ist der Gedanke, daß ausgerechnet Juden, und besonders die bei „Universal Studios“ (die Produktionsfirma von „Die Versuchung“, d. Red.), an der Göttlichkeit Jesu interessiert sein könnten - oder daran, sie zu widerlegen und das Christentum in Frage zu stellen. Ein klarer Fall von christlichem Größenwahn, wenn ihr mich fragt. Ich weiß es aus erster Hand: Nie haben sich die Juden um die Göttlichkeit Jesu gekümmert. Nie hatten sie im Sinn, den christlichen Glauben zur Strecke zu bringen. Sie wünschen lediglich, von den Christen in Ruhe gelassen zu werden, damit sie sich um Ratenzahlungen und Schulprobleme, um ihr Gewicht und die Geschäfte kümmern und sich bei Gelegenheit ihr Grab in der Westbank organisieren können. Beim Sabbat-Essen oder in der Mitzwa kommt das Thema Jesus nicht auf.

Dann kam Scorsese. Jetzt ist jeder, egal ob Jude oder Christ, ein Hobby-Theologe mit Kenntnissen in Blasphemie, Ketzerei und Psalmenexegese. Die Moral der Geschichte: Scorseses Film tut Jesus gut.

Soviel zur Religion: Kommen wir zum Film. Richard Corliss vom 'Time Magazine‘ nannte Die Versuchung Scorseses Meisterwerk (ich halte Raging Bull für sein Meisterwerk, wenn überhaupt). Das können wohl nur Leute mit einem Faible für lange blutrünstige Jesus-Filme nachvollziehen. Kurz: Man muß schon ein gepeinigter Katholik (manche halten das für doppelt gemoppelt) sein wie Mr.Corliss und Scorsese.

Ich für meinen Teil habe wenig Interesse an Gott und Gekreuzigten und war vielmehr gefesselt von der Frage: Warum haben alle Hebräer schwarzes lockiges Haar und dunkle Haut, und nur Willem Dafoe (der Jesusdarsteller, d. Red.) trägt blonde Dauerwelle? Eines ist doch sicher: Vielleicht war Jesus Mensch und vielleicht war er Gott, aber ein Schwede war er bestimmt nicht.

Das Beste an Die Versuchung ist, daß Jesus und seine Apostel ganz normale Typen sind. Theologisch wie filmisch einleuchtend und so wie Autor Katzanzakis es beabsichtigte, als er seine Novelle im griechischen Proletarier-Slang schrieb, hat Drehbuchautor Paul Schrader die Dialoge in Neu -Brooklynisch verfaßt. Zwar sagen die Schauspieler nicht wirklich dit, det und dat, aber als Jesus Judas ein Gleichnis erzählt, beißt Judas sich auf die Lippen und sagt: „Dit vasteh ick nüch.“ Das läßt uns begreifen, wie irre Jesus für seine Freunde gewesen sein muß und wie unerschütterlich ihr Glaube. Was übrigens auch Harvey Keitels Darstellung des Judas äußerst bemerkenswert macht.

Besser noch, obwohl sehr kurz auf der Leinwand, sorgt Harry Dean Stanton als komischer Paulus für erleichtertes Aufatmen. In unnachahmlicher stirnrunzelnder Manier spielt Stanton Paulus als Medienfuzzi. Ihn interessiert es wenig, ob Jesus wirklich als Gottessohn gekreuzigt wurde, solange die Leute es nur glaubten. Ein Typ, der die Macht der Medien erkennt.

Da die meisten von uns mit Paulus übereinstimmen, daß es auf dieser Welt nun mal so zugeht, macht Jesus mit seinem Beharren auf den wahren Glauben eine alberne Figur.

Je vertrauter und je ähnlicher uns Jesus und seine Apostel werden, desto mehr bestätigen sie das christliche Glaubensgeheimnis und, nicht unwichtig für Kinogänger, desto besser wird die Story. Am meisten mochte ich den Apostel , der immer über die Leinwand läuft und murmelt: „Wenn wir ins Paradies kommen, werde ich um mehr Schafe bitten. Mannomann, wenn ich bloß wüßte, wo meine Schäfchen jetzt sind?“ Solange Scorsese seine Judenscharen gering hält, verdreckt und kränklich, und die Straßen Jerusalems eng und voller Menschen, trifft er das rechte Maß und den richtigen Ton für seinen intimen Jesusbericht. Wenn aber Scorseses Regie ins Grandiose und Heroische abdriftet, kriegt der Film die Steifheit von Monumentalschinken oder von römischen Kampfszenen: Haupsache viel Sand und Sandalen.

Dann wird auch Dafoe schlecht. Paradoxerweise ist er nicht menschlich genug. Nie schafft er es, starke oder poetische Dinge direkt und überzeugend zu sagen. Stattdessen schwankt er zwischen Nervosität und Egozentrik, unvorstellbar bei einem so guten Zuhörer wie Jesus. Dafoe ist ein netter jüdischer Junge, nichts weiter.

Barbara Hersheys Maria Magdalen leidet ebenfalls unter dem Pathos, sie klingt mehr nach Lady Macbeth als nach einer Lady der Nacht. Das ist nicht ihr Fehler: Schrader (Taxi Driver, Raging Bull) konnte noch nie für Frauen schreiben.

Als Paar in der vielgeschmähten Traum-Sex-Szene sind sie am überzeugendsten, bedauerlicherweise nur wenige geschmackvolle Sekunden lang. Und deshalb das Theater? Jesus halluziniert doch nur am Kreuz, wie wohl das Leben mit einer Frau gewesen wäre - verständlich bei jemandem, der nach unendlichen Qualen sterbend unter der glühenden Wüstensonne hängt - um dann diese süßen Banalitäten zugunsten seines messianischen Auftrags zu verwerfen.

Jesus wurde nicht nur von der Sünde versucht, die er während seiner 40 Tage in der Wüste überwand, sondern auch von der Idee, einfach ein normaler Typ zu sein, der normalen Geschäften nachgeht. Zu gerne hätte er den anstrengenden Job als Gottessohn geschmissen, zu gern hätte er auf die Risiken und die Einsamkeit verzichtet, die ein Leben für das Gemeinwohl so mit sich bringen. Scorsese macht dieses Dilemma deutlich, Jesus‘ Entscheidung für seinen Auftrag wird um so erstaunlicher.

Kein Wunder, daß diese Auslegung des Evangeliums Künstlern wie Katzanzakis und Scorsese, Dissidenten, einsam im Herzen, gefallen haben muß. Francis Ford Coppolas Tucker - die Geschichte eines Mannes, der ein besseres Auto konstruieren wollte und von Korruption und Betrug ruiniert wurde - hat das gleiche Thema. Beide Filme sind optisch rührend, aber emotional unausgegoren. Wenn Scorsese und Coppola von dem Konflikt, der sie eigentlich fesselt (wobei Scorsese mehr an seinem Motiv festhält) abkommen, entgleiten ihnen ihre Filme zwischen den Fingern. Zwei wichige Filme; beide mühen sich redlich; keiner ist ein Meisterwerk.

Ein letzter Hinweis speziell für jüdische Zuschauer: In dieser Version der Leidensgeschichte werden die Juden nicht für den Tod Jesu verantwortlich gemacht. Der Schwarze Peter wird einzig Pontius Pilatus zugeschoben, dem einzigen Aristokraten in der Stadt, von David Bowie mit britischem Akzent und mit ausgeprägtem Klassenbewußtsein gespielt. Bowie ist der Böse und die Juden sind aus dem Schneider.

Vielleicht ist das der wahre Grund für die Empörung der Fundamentalisten.

Schlußbemerkung: Aus Furcht vor Protesten wurde eine Zeile aus der Traumsequenz herausgeschnitten: „Gott schläft zwischen deinen Beinen“, sagt er zu ihr. Was für eine Verschwendung.

Aus dem Amerikanischen von Leihbischof Klamm