Knallbuntes Spaßprojekt entzaubert

Kollektive Glückseligkeit: Der NDR erinnert an diesem Samstag dokumentarisch an die „Les Humphries Singers“, jenen Hamburger Hippie-Chor, der die Siebziger Jahre durch seine erfolgreichen Mitsinghits beschwingte – und ziemlich kläglich endete

Dokumentarfilme sind die Königsdisziplin des Fernsehens. Sie sollen aufklären, informieren und erhellen – zuallererst natürlich das Publikum. Und ganz selten erhellen sie sogar die Protagonisten. Wenn etwa ein gewisser Christopher Yim verlegen in die Kamera lächelt und bekennt, „dass ich nicht singen konnte, war nicht halb so peinlich, wie das, was ich trug“. Ein Akt verspäteter Selbstentlarvung eines ergrauten Ex-Hippies. Und wer sich jetzt fragt, wer bitteschön Christopher Yim ist, kann sich über eines ziemlich sicher sein: Er hat ihn schon mal gehört, wahrscheinlich sogar gesehen, in Ilja Richters TV-„Disco“ zum Beispiel, in so genannt ultimativen Chartshows auf RTL oder sonstigen Musikrückblicken aller Kanäle.

Yim war Mitglied der – und das ist hier mal nicht übertrieben – legendären „Les Humphries Singers“, jenes Multikultipopchors, der in den ohnehin knallbunten Siebzigern mit seiner grellen Farben-, Gospel- und Endorphinfreude für kollektive Glückseligkeit sorgte – auf Tanzflächen, Rundfunkfrequenzen und Showbühnen.

Über dieses abgeklungene Popkultur-Beben zeigt der Norddeutsche Rundfunk am heutigen Sonnabend eine spielfilmlange Dokumentation – die dritte bereits, nach zwei Filmen zur Blütezeit der Gruppe. Die neue Doku besticht besonders durch eines: Interviewte Bandmitglieder, die bei der Retrospektive ihrer längst vergangenen Karrieren immer wieder selbst überrascht sind von dem, was ihnen da widerfahren ist vor bald 40 Jahren. Damals castete John Leslie Humphries, ein militärisch ausgebildeter Wahlhamburger aus London, wechselnde junge Leute, steckte sie zeitgemäß in exaltierte Flowerpower-Klamotten, textete ihnen Hüften schwingen machende Mitgrölhits wie „Mexico“ oder „Mama Lou“ auf den Leib – und verkaufte damit nahezu 50 Millionen Alben in knapp einem Jahrzehnt.

Die damals Beteiligten scheinen diesen Erfolg bis heute noch nicht so ganz verdaut zu haben. „Nein!“, entrüstet sich etwa eine der Sängerinnen, „da hat einer nicht gesungen? Wer?“ Christopher Yim, antwortet der asiatische Tänzer gleich darauf selbst und scheint erst hier zu erkennen, dass die „Singers“ eigentlich ein einziger Fake waren, austauschbare Teile eines durchdeklinierten Ganzen, das auf der Bühne den Eindruck gemeinschaftlicher Glückseligkeit vermittelte. „Captagon?“, lautet die noch entsetztere Anschlussfrage über den Drogenkonsum der vielleicht zu schnell zu reich gewordenen Band. „Echt? Wüsst’ ich nicht, hätt’ ich aber bestimmt genommen.“

Darüber hinaus ist es allemal neunzig Minuten Aufmerksamkeit auch zu nachtschlafender Zeit wert, dem einstigen „Singers“-Schönling Jürgen Drews dabei zuzusehen, wie er mal richtig ernst wird angesichts der eigenen Unreife jener Zeit und der melancholischen Rückblicke auf die Folgen. Mit breitem Küstendialekt seiner Schleswiger Jugend erzählt der zwischenzeitliche „König von Mallorca“ da von toten, ausgebrannten und vergessenen Bandkollegen, von Ausbeutung, Fragilität und Vergänglichkeit – ganz so, als sei er gar kein Bierzelttingler.

Regisseur Andreas Fischer gelingt es mit Leichtigkeit, die Elastizität des zutiefst kommerziellen Spaßprojektes durch seine einzelnen Elemente zu entzaubern. Und angelt dabei aus einem archivarischen Bildfundus des Schlaghosenzeitalters, der das Lebensgefühl von einst auf den Punkt bringt. Er schafft somit eine der besten Musikdokumentationen seit Wim Wenders „Buena Vista Social Club“ oder Eberhard Fechners „Comedian Harmonists“ aus dem Jahr 1976. Im selben Jahr übrigens leitete ein Ereignis das Ende der „Les Humphries Singers“ ein: die Teilnahme am Grand Prix d’Eurovision. Ein echtes Fiasko. Ganz im Gegensatz zu Fischers Film. JAN FREITAG

„Die Les Humphries Singers: Aufstieg und Fall einer Poplegende“, Sonnabend, 23.40 Uhr, NDR Fernsehen