„Da wird man hineingeboren“

REISEN ODER BLEIBEN Manfred Pluschies betreibt den „Rotor“ auf dem Hamburger Dom. Er war sein Leben lang unterwegs. Inzwischen ist er sesshaft und seine Kinder haben übernommen

■ 62, ist Schausteller und lebt in Hamburg. Er ist Betreiber des Fahrgeschäfts „Rotor“ und Präsident des Hamburger Schaustellerverbandes.

INTERVIEW FABIAN LICHTER

taz: Herr Pluschies, haben Sie sich schon immer gewünscht, Schausteller zu werden?

Manfred Pluschies: Nein, gewünscht habe ich mir das nicht. Schausteller wird man ja meist, weil man da hineingeboren wird. Das wäre auch sehr ungewöhnlich, wenn Leute Schausteller werden wollen, die es vorher nicht schon waren. Das sind meist alte Dynastien, Familien, die schon seit vielen Generationen Schausteller sind. Da bin ich sogar direkt eine Ausnahme, ich bin erst die zweite Generation.

Ihr Vater hat Ihr Fahrgeschäft damals gekauft?

Ja, mein Vater hat angefangen in dem Gewerbe. Wir sind bundesweit auf Volksfesten gewesen und ich bin dann dort, in der jeweiligen Stadt, in der wir eben gerade waren, zur Schule gegangen. Die Familie meiner Frau ist schon wesentlich länger im Schaustellergewerbe. Das ist eine ganz alte Schaustellerfamilie. Das ist auch ganz oft so, dass Schausteller untereinander heiraten.

War bei Ihnen trotzdem auch einmal der Wunsch da, etwas anderes zu machen?

Ja, ich wollte früher etwa anderes machen. Man hat ja so viele Traumberufe als Kind und Jugendlicher und ich wäre gerne Arzt geworden. Das hat mich immer fasziniert. Der menschliche Körper. Aber das hat sich nie ergeben. Ich bin dann auch sehr früh in den elterlichen Betrieb eingespannt worden. Das hat sich dann so fortgesetzt. Mit meiner ältesten Tochter und ihrem Mann betreibe ich heute den „Rotor“. Ich bin selbst nicht mehr wie früher im Tagesgeschäft tätig, das meiste machen heute meine Kinder. Aber ich bin immer noch dabei.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie unterwegs?

Früher waren wir im Jahr so etwa neun Monate unterwegs. Das hat sich aber gewandelt, weil heute die Weihnachtsmärkte mehr und mehr mit zur notwendigen Einnahmequelle eines Schaustellers gehören. Wir machen selber auch bei Weihnachtsmärkten mit, etwa hier in Hamburg beim Wandsbeker Winterzauber. Deswegen sind wir mittlerweile schon bis Anfang Januar unterwegs. Anfang März geht es schon wieder raus los mit dem Aufbau zum Frühjahrsdom oder anderen Frühjahrsveranstaltungen, sodass der Winter sehr kurz ist. Wir sind auch auf dem Münchner Oktoberfest, der Cranger Kirmes, dem Düsseldorfer Schützenfest oder der Luxemburger Schobermesse. Auch in der Schweiz waren wir schon oder in Holland.

Wie schwer ist es, sich als Schausteller über Wasser zu halten?

Da hat sich natürlich vieles gewandelt. Wir sind eine Freizeitrepublik geworden. Gerade wenn man sich hier in Hamburg umschaut, was hier an Freizeitaktivitäten möglich ist! Die großen Volksfeste sind zwar immer noch stark frequentiert von den Besuchern, aber die kleineren Volksfeste bekommen zusehends Schwierigkeiten.

Gibt es heute weniger Schaustellerfamilien als früher?

Nein, es werden nicht weniger. Wir haben bundesweit knapp 5.000 Schaustellerbetriebe. Wir versuchen natürlich mittlerweile, unsere Kinder auch in anderen Bereichen erstarken zu lassen. Deshalb gehen die Kinder heute nicht mehr unterwegs zur Schule, so wie es früher war. Ich habe über hundert Schulen hinter mir. Aber meine Kinder schon nicht mehr. Wir hatten zu Hause jemanden angestellt, der die Kinder betreut hat, oder sie waren bei Pflegeeltern. Meine beiden ältesten Enkelkinder gehen mittlerweile hier in Hamburg aufs Gymnasium.

Wie war das für Sie, von Schule zu Schule zu wechseln? Haben Sie sich außen vor gefühlt?

Natürlich haben die Nachteile überwogen, ganz klar. Aber es hatte auch den Vorteil, dass man manchmal in ein Bundesland kam, in dem der Lehrstoff dran kam, den man gerade zuvor bereits in einem anderen Bundesland behandelt hatte. Dann hatte man das immer schon drauf. Ich hatte natürlich das Glück, dass ich im Winter einen Lehrer hatte, der mich nicht nach hinten gesetzt hat, sondern zu sich nach vorne und mich auch immer drangenommen hat. Der hat mich in drei Monaten immer sehr gefeilt. Das war auch gut so.

Wo war es am schönsten?

In Hamburg. Hier bin ich fest zur Schule gegangen.

Haben Sie sich nicht manchmal nach einem sesshafteren Leben gesehnt?

Nein, das kann ich so nicht sagen. Man kannte das ja als Kind schon nicht anders. Man war immer unterwegs. Das ist dann das gelernte Leben und man war ja auch von Anbeginn vor Ort.

Wie alt waren Sie, als Sie sich selbstständig gemacht haben?

Ich war 21, da habe ich mir das erste Geschäft gekauft. Das war damals eine Geisterbahn. Seitdem bin ich auch immer selbstständig geblieben.

Warum ist es heute keine Geisterbahn mehr?

Naja, über die Jahre hat sich der Zeitgeist gewandelt. Ich habe in der Zwischenzeit eine Menge Fahrgeschäfte betrieben. Es war einfach ein schwerer Betrieb, viel zum Auf- und Abbauen und da hat sich natürlich auch viel geändert heute. Die Personalsituation, das Veranstaltungsgefüge und so weiter. Ich habe dann mal etwas Neues entwickelt, vor 30 Jahren ungefähr. Das war auch im Bereich Horror. Das Ding hieß „Psycho“. Das war so ein Simulator und der war auch sehr erfolgreich.

Wann waren Sie das letzte Mal selbst in einem Fahrgeschäft?

Ich probiere jede Neuheit, die hier auf den Markt kommt, mindestens einmal aus und mach’ das mit. Auch wenn es mal ein bisschen spektakulärer ist. Ich bin ja beim Schaustellerverband, da muss ich natürlich auch mitreden können. Aber man ist das ja auch ein bisschen gewohnt. Ich hab ja selbst den „Rotor“. Das ist auch ein Fahrgeschäft, was sich sehr schnell bewegt, darum macht mir so etwas auch nicht viel aus.

Was ist als Schausteller heute anders, als es früher war?

Wir haben über die Jahre mehr und mehr Auflagen in alle Richtungen bekommen. Mittlerweile sind wir in allen Bereichen tätig und vermehrt müssen wir uns dann natürlich auch um das Management unserer Betriebe kümmern. Man nimmt heute an Ausschreibungen teil, bewirbt sich um Veranstaltungsplätze. Das macht man ein Jahr vorher schon. Auch der Konkurrenzdruck ist deutlich größer geworden. Die Anschaffungspreise sind höher und die Karussellgeschäfte sind auch wesentlich komplizierter geworden.

Heute sind Sie Präsident des Schaustellerverbandes in Hamburg. Leben Sie hier mittlerweile fest?

Ja, wir haben auch ein Haus hier in Hamburg. Wenn der Dom läuft, bin ich natürlich hier auf dem Dom und habe hier dann auch viele Termine von Verbands wegen her zu erledigen. Aber im Wohnwagen wohne ich nicht mehr. Höchstens, wenn ich mal bei den Kindern auf der Besucherritze schlafe.

Was war das Verrückteste, das auf Tour passiert ist?

Das ist schwer zu sagen. Verrückt war sicherlich vieles. Ein Highlight war es natürlich, als bei uns vor einiger Zeit ein Paar in voller Hochzeitskleidung im „Rotor“ geheiratet hat.

Besteht Ihr Freundeskreis größtenteils aus Schaustellern?

Ja, man kennt viele natürlich schon seit etlichen Jahren und trifft sich auf den Festen. Dadurch, dass man so viel herumkommt, hat man Freunde an vielen Orten. So habe ich zum Beispiel auch gute Freunde in Süddeutschland. Aber ich kenne auch Leute, die nicht im Schaustellergewerbe sind.

Welche Träume gibt es, die Sie sich noch erfüllt wünschen?

Naja, vielleicht kann ich es erleben, dass einer meiner Nachkommen meinem Traum von früher nachgeht und Medizin studiert. Das würde mich schon freuen.

Und was wird aus Ihrem Geschäft?

Meine Kinder arbeiten ja schon lange fleißig mit und stemmen das Geschäft zum großen Teil bereits selbst. Da war es eigentlich immer schon klar, dass das Ganze weiterleben wird. Irgendeiner übernimmt es bestimmt auch in Zukunft, da mache ich mir keine Sorgen.