Hupen gegen das Schweigen

GEDENKEN Die Türkische Gemeinde protestiert mit einem Autokorso gegen Rassismus, der türkische Außenminister Davutoglu besucht Hinterbliebene

BERLIN taz | Mit einem Auge kann man schlecht Auto fahren. Darum kamen die Brillen, auf denen die rechte Seite abgeklebt war, erst vor dem Innenministerium zum Einsatz. Dort protestierten rund 500 überwiegend türkischstämmige Demonstranten gegen die Behörden, denen sie vorwerfen, bei den Ermittlungen in der Mordserie gegen türkischstämmige Kleinunternehmer „auf dem rechten Auge blind“ gewesen zu sein.

Rund 150 Autos waren zuvor, von lautem Hupkonzert begleitet, von der Berliner Innenstadt in den östlichen Bezirk Köpenick gefahren, zur NPD-Zentrale – und wieder zurück.

An den Autofenstern waren Slogans wie „Rassismus geht alle an“ zu lesen. Auffallend viele Taxifahrer waren dem Aufruf des Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg gefolgt, der den „Autokorso gegen Rassismus“ geplant hatte.

Am Samstagmittag, als der Autokorso begann, traf sich der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu mit Bundespräsident Christian Wulff, dem er für seine Anteilnahme dankte. Kurz darauf stieg Davutoglu ins Flugzeug, um sich vor der Afghanistan-Konferenz in Bonn mit seinem deutschen Amtskollegen Guido Westerwelle auszutauschen.

In Bonn rief Davutoglu dazu auf, die Sorgen der türkischen Bevölkerung nicht zu ignorieren. „Es herrscht Angst in der türkischen Gemeinde“, sagte er und plädierte für einen „Aktionsplan“, um Vorurteile abzubauen. Trotzdem vertraue die Türkei der deutschen Regierung und der deutschen Justiz. Die Beziehung zu Deutschland seien durch die Mordserie nicht beeinträchtigt.

Tags zuvor hatte Davutoglu Angehörige der Nazi-Opfer aufgesucht und ihnen seine Unterstützung zugesagt. Gegenüber dem Vater und der Witwe des Gemüsehändlers Süleyman Taskörü nannte er diesen in Hamburg einen „Märtyrer“.

Am Sonntag besuchte Davutoglu auch die Kölner Keupstraße, die im Juni 2004 das Ziel eines Nagelbombenanschlags war, der ebenfalls auf das Konto der Neonazis aus Zwickau gehen soll. 22 Menschen waren damals teils schwer verletzt worden.

Dort hatte sich Freitag schon der türkische Innenminister Idris Naim Sahin angekündigt. Kurzfristig änderte der aber sein Programm und besichtigte lediglich die Baustelle der Kölner Zentralmoschee, um sich über den Baufortschritt zu informieren.

Die Mordserie der Neonazis ist auch in der Türkei ein großes Thema. Schon vor zwei Wochen hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an Deutschland appelliert, sich bei der Bekämpfung von rechtsextremen Untergrundorganisationen ein Beispiel an der Türkei zu nehmen. Damit spielte er auf die Ermittlungen gegen die Geheimorganisation Ergenekon an, die in der Türkei einen Putsch gegen die Regierung geplant haben soll.

In der Türkei stehen deshalb derzeit 200 Offiziere der Armee und viele andere Angeklagte vor Gericht. Dieser Vergleich wurde vielerorts als reichlich unpassend angesehen. DANIEL BAX