Weltkulturerbe platt gewalzt

BARBAREI Extremisten des Islamischen Staates haben Nimrud verwüstet. Die einstige Hauptstadt der Assyrer in der Nähe von Mossul ist eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler der irakischen Antike

ISTANBUL taz | Vor einer Woche das Museum von Mossul und jetzt Nimrud. Die Extremisten des Islamischen Staats (IS) haben nach Angaben der irakischen Regierung die 3.000 Jahre alte assyrische Stadt verwüstet. Die Leiterin der Unesco, Irina Bokova, nannte die Zerstörung am Freitag ein Kriegsverbrechen.

Großajatollah Ali al-Sistani, der höchste schiitische Geistliche im Irak, rief die religiös und ethnisch gespaltenen Iraker auf, im Kampf gegen die Extremisten die Reihen zu schließen. Tag für Tag zeige die grausame Organisation, dass sie weder Menschen noch Steine verschone, heißt es in einer Erklärung, die ein Sistani-Vertrauter während der Freitagspredigt in Kerbala verlass. IS-Kämpfer hätten Nimrud überrannt, teilte das irakische Ministerium für Tourismus und Altertümer am Donnerstag mit. Mit schweren Maschinen hätten sie begonnen, die Ausgrabungsstätte zu planieren.

Nimrud, das rund 30 Kilometer südöstlich von Mossul liegt, ist eine der bedeutendsten Ruinenstätten des Irak. Im 13. Jahrhundert v. Chr. gegründet, war es lange die Hauptstadt der Assyrer, die Nimrud Kalha nannten. Am Ostufer des Tigris hatte Ashurnipal II. im 9. Jahrhundert v. Chr. einen Palast gebaut, der mit Obelisken, reichen Reliefs, edlen Hölzern und Elfenbeinschnitzereien verziert war. Unter Ärchäologen gilt Nimrud als das Juwel des neuassyrischen Reichs, das sich zeitweise vom heutigen Irak über die Levante, Teile der Türkei, Irans bis nach Unterägypten erstreckte.

Berühmt sind die geflügelten Bullen oder Löwen, riesige Tierfiguren mit Menschenhaupt (Lamassu). Ein letzte Woche durch den IS veröffentlichtes Video zeigte, wie die Extremisten mit Presslufthammer eine der Statuen zerstören. Was sie sonst noch vernichteten, war zunächst unklar. Viele Artefakte befinden sich heute in Bagdad und in Museen in Berlin, London oder Paris.

Was die Fanatiker jetzt zerstören oder plündern, war freilich schon bedroht, bevor sie Mossul und Umgebung im vergangenen Juni in ihre Gewalt brachten. Nimrud und Hatra stehen seit 2002 auf der Unesco-Liste des gefährdeten Welterbes. Seit dem Golfkrieg 1991 wurde die Stätte vernachlässigt. Daran änderte auch der Einmarsch der Amerikaner 2003 nichts. Den Wachen, die die Regierung abbestellte, fehlte es sogar an Benzin, um zu patrouillieren.

Taubendreck, Sand und Regen nagten an den einzigartigen Überresten. Nur selten verirrten sich Besucher nach Nimrud, zumal die Gegend seit Jahren gefährlich war. Nach dem Willen des IS sollen Menschen das Weltkulturerbe überhaupt nicht mehr sehen. INGA ROGG