Wann wird der Alex fertig?

Drei Tage in Klausur: Das Projekt „Jet-Lösungen“ bearbeitet Fragen und Probleme der Berliner

Theater erfordert manchmal Mitarbeit, diesmal sind es Probleme, um die die drei Performer der Gruppe Kulturmassnahme gebeten haben. Als man nachmittags über den Alexanderplatz läuft, versucht man sich irgendein Problem auszudenken, das innerhalb von fünf Stunden lösbar ist. Allzu peinlich darf es nicht sein, denn abends werden alle Lösungen dem Publikum präsentiert.

Man geht dazu in eine temporäre Galerie, die sich nach der Jet-Clean-Reinigung nebenan, deren Leuchtreklame ziemlich dreckig aussieht, „Jet-Lösungen“ nennt. Bis auf ein paar Stühle und eine nette junge Frau ist der Laden fast leer. An einer Wand werden einige andere Aktionen von kulturmassnahmen.de erläutert, die um Post-Schlingensief-Themen wie Scheitern und Fehlermachen zu kreisen scheinen.

Die Problemlöser Boris Jöns, Sebastian Orlac und Thorsten Schwarz sind in dem Ladengeschäft im schön angeschrottetem DDR-Plattenbau an der Memhardstraße nicht zu sehen. In einem Kabuff hinter einer Sperrholzwand lassen sie sich Nahrung als Almosen von Besuchern durch eine Schublade reichen. Ich habe extra Salmiakpastillen, Müsliriegel und eine Banane mitgenommen, die Banane allerdings schon auf dem Weg gegessen. Die drei Herren scheinen sich mitten in der Stadt einer mönchischen Abgeschiedenheit hinzugeben.

Wie in der Kirche setzt man sich in eine Art Beichtstuhl und erkennt hinter einem Gazevorhang schemenhaft einen Mann, der zuhört. Jetzt könnte man natürlich anfangen zu beichten, etwa ich onaniere dauernd oder trinke täglich Bier, aber lieber fragt man den fast Unsichtbaren: „Wann wird der Alexanderplatz fertig?“ Das scheint dem Zuhörer zunächst zu abstrakt, was man denn für persönliche Probleme mit dem Platz habe? Ob die Frage philosophisch zu verstehen sei oder historisch? Bald scheint mir, dass der Zuhörer eigentlich von mir die Antworten auf meine eigene Frage hören will. „War denn der Platz schon mal fertig?“, fragt er zurück. Wir einigen uns darauf, dass der Alex zu DDR-Zeiten fertig aussah und man am Brunnen gut schwarz D-Mark tauschen konnte. Wo der Alex überhaupt endet, weiß man nicht. Gehört das hässliche Alexa noch dazu?

Abends geht man wieder zu Jet. Tatsächlich kommen auch andere, die wohl Fragen gestellt haben und jetzt erwartungsfroh sind. Kurz nach acht wird das kleine Vorhängeschloss vor der Sperrholzwand geöffnet. Drei Männer sitzen am Tisch und schenken sich dampfendes Wasser aus einer Thermoskanne ein. Rechts liegt eine Matratze am Boden. Ein Overheadprojektor wirft ein Schreiben einer Galerie an die Wand: „Uns droht die Pleite, was sollen wir machen?“, fragt After the butcher aus Lichtenberg. Das sei ein Dilemma zwischen Kunst und Geld, heißt die Lösung. Problem zwei behandelt das Sorgerecht für Kinder aus einer zerbrochenen Ehe. Mediation wird vorgeschlagen, und handele aufrichtig, nicht strategisch!

Hm. Dritte Frage: Was ist Liebe? Liebe sei eine Schaukel, sagen die drei Herren, das sei ihnen nach einigen Stunden Diskussion aber zu metaphorisch vorgekommen. Der eine singt zur E-Gitarre „Liebe ist nicht so wichtig“ und „Liebe ist mehr, als du denkst“. Vielleicht haben die sich die Probleme selbst ausgedacht, und der Alexkomplex kommt gar nicht dran? Dann fragte jemand, wie er seine Zahnprophylaxe finanzieren soll. Er soll eine Lobby gründen und das System ändern. Einige Zuschauer lachen.

Zum Schluss malen die drei tatsächlich ein Alex-Schaubild und errechnen, dass Beton nur 40 Jahre hält und der Platz nie fertig wird. Da man nicht weiß, wo der Alex eigentlich endet, gibt es ihn eigentlich gar nicht. Die Holzwand schließt sich wieder. Freunde und Verwandte reichen Lebensmittel durch die Schublade. Irgendwie wüsste man gern, ob die drei tatsächlich drei Tage in ihrer Kiste bleiben.

ANDREAS BECKER

Problemannahme bis zum 18. Nov., von 10 bis 15 Uhr, Lösungen ab 20 Uhr. Memhardstr. 1 am Alex