Oder destruktiv und merkwürdig?

USA Obama möchte Netanjahu wegen der angekündigten Rede nicht empfangen. Viele Abgeordnete sehen sich in Loyalitätskonflikten. Auch außerhalb der Regierung gibt es Protest

Der Abgeordnete Steve Cohen aus Tennessee sagt: „Netanjahu ist genauso wenig Israel, wie George W. Bush Amerika war“

VON DOROTHEA HAHN

NEW YORK taz | Drei Ratschläge haben drei „jüdische Kumpel“ dem kalifornischen Demokraten Alan Lowenthal für den Auftritt von Benjamin Netanjahu am Dienstag im US-Kongress gegeben: „Unbedingt hingegen.“ – „Auf gar keinen Fall hingehen.“ – „Unentschieden.“ Der Abgeordnete haderte bis zum Wochenende. Er will hingehen. Aber für den wahrscheinlichen Fall, dass der israelische Premierminister bei seinem Auftritt den US-Präsidenten kritisieren sollte, hat Lowenthal vorab angekündigt, dass er öffentlich seine Meinung kundtun werde.

Netanjahus umstrittener Auftritt im Kongress – zwei Wochen vor den Wahlen in Israel und mit dem erklärten Ziel, Obamas Iranpolitik zu torpedieren und Stimmung für Sanktionen statt für Gespräche zu machen – stürzt zahlreiche FreundInnen Israels in den USA in ein Dilemma. Jahrzehntelang stand die Spezialbeziehung zu Israel über den Parteienkriegen. Nach außen hin herrschte Konsens. Kritik wurde allenfalls hinter verschlossenen Türen verhandelt. Nun plötzlich stecken Abgeordnete in Loyalitätskonflikten. Bis Sonntagabend haben bereits 30 DemokratInnen, darunter vier SenatorInnen, angekündigt, dass sie Netanjahus Rede nicht anhören werden. Die meisten von ihnen kommen aus den Gruppen der schwarzen und der progressiven DemokratInnen. Aber auch mindestens sechs jüdische DemokratInnen – ein Fünftel der jüdischen Kongressabgeordneten – wollen nicht kommen. Einer der Fernbleiber, Steve Cohen aus Tennessee, sagt: „Netanjahu ist genauso wenig Israel, wie George W. Bush Amerika war.“ Die Senatorin Dianne Feinstein aus Kalifornien wird zwar hingehen, sagte aber vorab: „Er spricht nicht für mich.“

Der republikanische Chef des Repräsentantenhauses, John Boehner, der republikanische Chef des Senats, Mitch McConnell und der ehemalige republikanische Aktivist und heutige israelische Botschafter in Washington, Ron Dermer, haben sich den Auftritt ausgedacht. Innenpolitisch soll Netanjahu die Kritik der RepublikanerInnen an Obamas Iranpolitik verstärken – zugleich ist sein Auftritt ein Signal an die anderen fünf Länder (China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland), die an den Iraner Atomgesprächen beteiligt sind. Gegen alle Gepflogenheiten haben die beiden Republikaner und der Botschafter den Netanjahu-Besuch hinter dem Rücken der US-Regierung und des US-Präsidenten geplant. Am Morgen nach Obamas Rede zur Lage der Nation im Januar, bei der er angekündigt hat, dass er sein Veto gegen neue Sanktionen gegen den Iran einlegen werde, solange die Gespräche noch liefen, machte Boehner die Einladung an Netanjahu öffentlich. Laut Boehner habe er das Weiße Haus kurz zuvor – am selben Morgen – informiert.

Die Reaktion fiel scharf aus. Obama machte klar, dass er Netanjahu nicht empfangen werde. Seine Sicherheitsberaterin Susan Rice nannte dessen Vorgehen „destruktiv“. DemokratInnen im Kongress suchten vergeblich nach Auswegen.

Auch außerhalb von Regierung und Kongress sorgt der Auftritt für Ärger. Die Antikriegsgruppe Code Pink nennt Netanjahu beispielsweise einen „Kriegsverbrecher“ und demonstriert seit Sonntag vor der Jahrestagung der größten israelischen Lobbygruppe in den USA, Aipac, bei der Netanjahu am Montag sprach.

Es gehört zu der Spezialbeziehung, dass die USA alljährlich mehr als 3 Milliarden Dollar Hilfe an Israel überweisen – mehr als in jedes andere Land. Ein anderer Aspekt der Beziehung ist, dass die USA in den internationalen Gremien verhindern, dass Israel wegen Kriegsverbrechen angeklagt und dass der Staat Palästina anerkannt wird.

In einem Schlichtungsversuch am Tag von Netanjahus Ankunft in Washington hat US-Außenminister John Kerry am Sonntag versichert, die Partnerschaft zwischen den beiden Ländern werde weitergehen. Aber auch er nannte Netanjahus Auftritt „merkwürdig“. Und er fügte hinzu, dass seine Regierung in den zurückliegenden zwei Jahren „mehrere Hundert Male in 75 verschiedenen Foren zugunsten von Israel interveniert“ habe.