Der große Bruder hilft weiter

EM-PLAYOFFS Während in Kroatien Trainer Slaven Bilic gefeiert wird, entlässt der türkische Verband seinen Coach Guus Hiddink

„Rache ist ein Wort, das im Sport nichts zu suchen hat. Wir wollten nur weiterkommen“

SLAVEN BILIC, COACH VON KROATIEN

ZAGREB taz | Slaven Bilic nahm die Zigarette gern an, die ihm der Fotoreporter aus Kroatien für den langen Weg anbot. „Danke“, sagte Bilic auf Deutsch, weil er sich gerade mit dem deutschen Journalisten unterhielt. Das Feuerwerk im Maksimir-Stadion von Zagreb war schon abgebrannt, die Fans längst in die Kneipen und auf den Straßen der kroatischen Hauptstadt zum Feiern unterwegs, als Bilic durch den Nebel quer über den Platz zum Mannschaftsbus trottete. Es wurde eine lange Nacht für den 43-Jährigen und die Spieler der kroatischen Nationalmannschaft in einem Zagreber Luxushotel. Das 0:0 im Rückspiel gegen die Türkei genügte den Kroaten, um die Teilnahme an der Europameisterschaft im nächsten Jahr in Polen und der Ukraine klarzumachen. Das Hinspiel hatten sie vergangenen Freitag in Istanbul bereits deutlich mit 3:0 gewonnen. In Zagreb taten sie dann nur so viel, dass nichts mehr schiefgehen konnte, die ersatzgeschwächten Türken waren immerhin ehrenhaft bemüht und stehen nun vor einem Neuanfang. Trainer Guus Hiddink und der türkische Fußballverband gehen getrennte Wege. Am Mittwoch wurde bekannt, man habe den Vertrag im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst. Der Niederländer Hiddink war seit August 2010 im Amt und sollte für ein fürstliches Salär das Team bis 2014 betreuen.

Die Türken werden nun mit den in Deutschland geborenen und ausgebildeten Talenten Nuri Sahin, Mehmet Ekici oder Ömer Toprak, der in Kroatien sein Länderspieldebüt gab, ein neues Team bauen. Hiddinks Nachfolger wird vermutlich Abdullah Avci. Der 48-Jährige führte die U 17 der Türkei 2005 zum Europameistertitel. Derzeit trainiert er den Erstligisten Istanbul BB.

Der Kroate Slaven Bilic ist wieder jener Liebling der Massen, der er schon während der EM 2008 in seinem Heimatland gewesen ist. Noch vor vier Wochen indes, nach dem bitteren 0:1 in Athen gegen Griechenland, das die direkte EM-Qualifikation kostete, wackelte sein Stuhl bedenklich. Doch Zdravko Mamic, Präsident von Dinamo Zagreb und ebenso starker wie zwielichtiger Mann im kroatischen Fußball, hob mangels Alternativen noch einmal den Daumen. „Wir haben es geschafft, weil diese Gruppe einen super Charakter hat“, sagt Bilic. Der Kern der Mannschaft um Volksheld und Bayern-Profi Ivica Olic, der mit einem frühen Tor in Istanbul den Grundstein für die Qualifikation gelegt hatte, spiele schon seit fünfeinhalb Jahren zusammen, erklärte Bilic, der genauso lange Trainer der Nationalmannschaft ist. Zuvor betreute er die U 21 des Landes, für die er Luka Modric zu einem internationalen Klassespieler ausbildete. Die Beziehung zum Mittelfeldspieler von Tottenham Hotspur ist eng, Bilic war Gast auf Modrics Hochzeit. Ohnehin verehren ihn seine Spieler wie einen großen Bruder.

Nach dem Scheitern an der Qualifikation für die WM 2010 warfen ihm die Kritiker jedoch vor, zu sehr Bruder und zu wenig strenger Vater der Spieler zu sein. Die Emotionen schwanken in Kroatien sehr schnell, Bilic aber ist ein Kämpfer: „So wie früher als Spieler“, sagt er. Der Mann, der Gitarrist einer Rockband und studierter Jurist ist, war mit seiner emotionalen Art des Coachings bei der EM 2008 aufgefallen. Zwar wird er während der Spiele noch immer von den vierten Offiziellen fast in Manndeckung betreut, doch ist er reifer geworden. Ein Fehler wie 2008 im EM Viertelfinale gegen die Türken, als er und seine Spieler nach der kroatischen Führung kurz vor Ende der Partie schon wie die Sieger jubelten, wird ihm nicht mehr passieren. „Das Aus von Wien werden wir niemals vergessen“, sagt Bilic. Die Erfahrung hatte aber eher therapeutische Auswirkungen auf den Trainer Bilic. Als „Rache“ für die Niederlage damals feierten die kroatischen Medien nun den Erfolg gegen die Türken. Bilic aber betonte: „Rache ist ein Wort, das im Sport nichts zu suchen hat. Wir wollten nur weiterkommen.“

Die EM soll der krönende Abschluss für den Trainer und viele der älteren Spieler wie Olic, Simunic, Pletikosa oder Srna in der kroatischen Nationalelf sein. Bilic, der als Spieler mit den Kroaten 1998 WM-Dritter war, wird danach eine neue Herausforderung suchen. „Doch jetzt“, sagte er, „gelten meine Gedanken nur dem Turnier.“ TOBIAS SCHÄCHTER