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: Mit Alex Capus’ Roman „Eine Frage der Zeit“ in Deutsch-Ostafrika: Krieg ist Quatsch

Wer in den Fünfzigerjahren vom Knaben zum Leser reifte, fand manchen Stoff in den Bücherschränken alter Onkel, die als Knaben im Kaiserreich ihrerseits ein paar Bücher verzehrt hatten, Geschenke weiterer Onkel. Manche dieser Bücher spielten in Gegenden, die längst verschollen waren, den Kolonien des Kaiserreichs. Von denen jene Onkel mitteilten, der Tommy habe sie requiriert. Alex Capus, ein Schweizer Erzähler mit guten Verkäufen, begibt sich in seinem neuen Roman nach Deutsch-Ostafrika, ans Ufer des Tanganjikasees; gleich beginnt der Erste Weltkrieg, und der Tommy respektive der Belgier besitzt das andere Ufer.

Letzterer spielt in der Geschichte keine Rolle, während der Tommy ebenso wie seine reichsdeutschen Kontrahenten ziemlich genau den Nationalstereotypen entsprechen, die ich aus den Kolonialromanen jenes dicken Onkels kenne. Der Tommy heißt Geoffrey Spicer Simson und ist ein Fatzke und Aufschneider, der seine Karriere bis in ein Londoner Nebenbüro heruntergefahren hat, als ihn der Auftrag ereilt, als Commander zwei hübsche Ausflugsboote heimlich über Meer und Land zum Tanganjikasee zu transportieren, wo sie, aufgerüstet, gegen einen entsprechend aufgerüsteten deutschen Ausflugsdampfer kämpfen sollen. In diesem Kampf verliert der Fatzke alle Neigung zur Aufschneiderei und erweist sich als cool, umsichtig, heldenhaft, wie es dem Tommy ziemt. Der Deutsche dagegen tritt dreieinig auf, Anton Rüter, Hermann Wendt, Rudolf Tellmann, die auseinanderzuhalten der Leser mühsam lernt. Grundehrliche Fachmänner für den Schiffsbau – sie haben einen veritablen Dampfer in seine Einzelteile zu zerlegen und heimlich an jenen afrikanischen See zu transportieren, damit er dort den Gegner erschrecke. Alex Capus beweist, dass er sich in die Terminologien des Schiffsbaus ebenso wie der Flora und Fauna eingelesen hat. Ohne damit zu protzen.

Das Meisterwerk deutscher Ingenieurkunst (die Kaiser Wilhelm II. ebenso wie das deutsche Bürgertum mit Stolz erfüllte), das tüchtige Dampfschiff „Götzen“, bringt Alex Capus nun nicht gegen die britischen Luxusboote, die solide Arbeit durch windigen Wagemut ersetzen, auf dem Tanganjikasee gegeneinander ins Spiel. So wären die Kolonialromane des dicken Onkels verfahren – sie machten es sogar nach dem verlorenen Krieg so aussehen, als hätten nur schmutzige Tricks dem Tommy den Sieg über die grundehrliche deutsche Ingenieur- und Kriegskunst gebracht.

Alex Capus weiß, dass mit siegreichen Kriegsgeschichten in Deutschland kein Beifall zu ernten ist. Den Militarismus ersetzt in der Gegenwart restlos Pazifismus. Jedenfalls bei Rüter, Wendt und Tellheim; den britischen Fatzke erfüllt natürlich Kampfeslust. Den Angriff auf das tüchtige Dampfschiff erspart er seinen Bootchen einfach aus Kalkül. Alex Capus bringt eine Dramaturgie zum Einsatz, die man aus deutschen Kriegsfilmen der Fünfziger kennt. Der grundehrliche und fleißige Deutsche (Heinz Rühmann) wird durch die so feigen wie kriegslüsternen Vorgesetzten (Martin Held, Werner Peters) in einen Kampf getrieben, der ohne Erfolgsaussicht ist und Heinz Rühmann mit keiner patriotischen Leidenschaft erfüllt. Krieg ist Quatsch, wissen Anton Rüter, Hermann Wendt, Rudolf Tellmann, und am Ende hat Alex Capus das sogar Martin Held (Kapitänleutnant von Zimmer) beigebracht. Mit mildem bis schalem Humor erzählt Alex Capus diese Kriegsgeschichte ohne Kriegsbegeisterung aus einem Land vor unserer Zeit. Ohne Erzählbegeisterung. Es sollen historische Dokumente zugrunde liegen; auf Seite 241 findet sich eine Skizze des Dampfschiffs „Götzen“. Gefallen mag das Buch Lesern, die selten ins Kino gehen und deshalb „African Queen“ mit Katharine Hepburn und Humphrey Bogart für ein Meisterwerk halten, auch so eine launige Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg. Allerdings kriegen die Deutschen am Ende eins aufs Dach. MICHAEL RUTSCHKY

Alex Capus: „Eine Frage der Zeit“. Knaus, München 2007, 304 Seiten, 19,95 Euro