KOMMENTAR VON JANNIS PAPADIMITRIOU ZUM REGIERUNGSPROGRAMM IN GRIECHENLAND
: Tränen und Tücken der Realpolitik

Der neue Mindestlohn sollte „unverzüglich“ kommen, jetzt heißt es: „bis 2016“

Alexis Tsipras will eigentlich liefern. Aber langsam werden ihm vermutlich auch die Sachzwänge des Regierens klar und sogar auch unangenehm. Da kann nur helfen: fahren auf Sicht, Optionen offenhalten, am besten sich nicht direkt festlegen. Keine Verhandlungstaktik offenlegen könnte wohl auch eine Verhandlungstaktik sein.

Fast neunzig Minuten dauerte Sonntagabend die Regierungserklärung von Ministerpräsident Tsipras, am Ende seiner Rede war der erste linke Ministerpräsident Griechenlands den Tränen nahe. Seine Anhänger waren gerührt, politische Gegner fühlten sich eher an die langen Ausführungen des kubanischen Staatschefs Fidel Castro erinnert.

Wer von dieser Rede ein klares Bild der künftigen Verhandlungstaktik gegenüber den europäischen Partnern erwartet hat, fühlte sich eher enttäuscht – auch wenn sich Tsipras optimistisch gab, in den nächsten zwei Wochen eine Einigung mit den Kreditgebern erreichen zu können. Doch zwischen den Zeilen werden die Tücken der Realpolitik für Tsipras immer deutlicher erkennbar.

Bestes Beispiel war sein zentrales Wahlversprechen, den Mindestlohn in Griechenland auf 750 Euro monatlich anzuheben: War noch vor dem Urnengang die Rede von einer „unverzüglichen“ Lohnanpassung, sprach die Linkspartei nach der Wahl von einer sechsmonatigen Vorbereitungszeit. Und nun erklärt Premier Tsipras höchstpersönlich, dieses Wahlversprechen „bis 2016“ umsetzen zu wollen.

Tsipras’ Rede war nicht zuletzt an die Parteibasis gerichtet, die zusammengeschweißt werden muss, angesichts schwieriger Entscheidungen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten: Gespräche mit den internationalen Kreditgebern, Wahl eines neuen Staatspräsidenten, Neugründung des staatlichen Fernsehens ERT, Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts.

Programmiert erscheint in diesem Zusammenhang der Konflikt mit dem kuriosen Koalitionspartner, der rechtspopulistischen Gruppierung „Unabhängige Griechen“. Diese weigert sich nämlich vehement, Zuwandererkinder der zweiten Generation, die in Hellas geboren und aufgewachsen sind, die griechische Staatsangehörigkeit zu gewähren.