Kasperle gegen Bürokraten

ZUKUNFT Das Hamburger Puppentheater hat Fernsehen und Internet überstanden. Nun könnte die einzige Puppenbühne der Stadt im Behördenstreit untergehen

■ Rund 13.000 Besucher zählte das Theater 2010 – doppelt so viel wie 1990.

■ Weitere Tausende besuchen die offene Werkstatt, Lehrerfortbildungen und Schul-Workshops.

■ 80 Prozent der Arbeit wird ehrenamtlich geleistet.

■ 20.000 Euro Förderung kommen jährlich von der Kulturbehörde, 10.000 von der Sozialbehörde.

■ Das Bezirksamt überlässt unter anderem die Räume kostenfrei. Es zahlte 2010 rund 118.000 Euro Betriebskosten für das Haus Flachsland, von dem das Theater etwa die Hälfte nutzt.

VON WOLFGANG DENZLER

„So eine heitere Horte. Wäre schade, wenn das alles vorbei wäre“, sagt ein junger Erzieher und schenkt Saft in pinken Plastikbecher aus, die ihm seine Kitagruppe entgegenstreckt. Mit dem Fuß stoppt er einen Rucksack, der über den Boden segelt. „Die Kleinen mögen das Puppentheater sehr. Wir kommen oft.“

Über hundert Kinder fluten den großen Vorraum des Hamburger Puppentheaters in Barmbek. Seit 25 Jahren haben hier Marionetten, Stab- und Handpuppen ihren Auftritts- und oft auch Geburtsort. „In den Werkstätten haben schon tausende Kinder eigene Kreaturen gebastelt. Auch dafür braucht man die richtigen Räume“, erklärt Theaterchef Peter Räcker. „Die Toiletten müssen für die kleinen Geister tief genug hängen. Wenn es hoch hergeht, wuseln hier 260 Kinder rum.“

Nachdem der Bezirk Nord dem Trägerverein zum Jahresende gekündigt hat, wurden zwar Alternativen angeboten. „Mit über 150 Vorstellungen im Jahr können wir aber nicht in irgendeine Schulaula unterschlüpfen.“ Räcker begrüßt eine weitere Gruppe Kinder und führt sie zu den niedrigen Holzbänken an der Wand.

„Oh, könnt ihr eure Blinkschuhe ausziehen?“ Dörte Kiehn setzt die jüngeren Kinder auf Turnmatten vor die Bühne. „Im Theater kommt das nicht gut“, erklärt die Puppenspielerin den Betreuern. „Hat jeder einen guten Platz? Wisst ihr, was jetzt passiert?“ „Das Licht geht aus!“, ruft ein Junge, der auf dem Schoß seiner Erzieherin thront. „Genau. Dann viel Spaß mit Richard. Dem stärksten Raben der Welt.“

Ob kurz vor Weihnachten für die Puppen das Licht endgültig ausgeht, darum streiten sich Theater, Bezirk und Senat. „Letztes Jahr haben wir den Bezirks-Kulturpreis bekommen, Zuschüsse für eine Renovierung – und nun sollen wir am 31. Dezember die Schlüssel abgeben“, sagt Räcker.

SPD-Bezirksamtsleiter Wolfgang Kopitzsch besucht selbst gerne samt Nachwuchs die Vorstellungen. „Aber auch wir sind in dem Gebäude nur Mieter“, gibt er den Schwarzen Peter an die Sozialbehörde weiter. Deren Sprecherin Nicole Serocka sagt: „Nicht wir als Eigentümerin geben die bisherige Nutzung auf, sondern das Bezirksamt wegen des fehlenden Bedarfs für ein Jugendhaus in der Region.“

Im Augenblick herrscht im Vorführungssaal noch das volle Leben: „Noch ein Raaabe!“, die kleinen Zuschauer hält es kaum auf den Plätzen, als sich die Handpuppe Richard aus dem Plastikei schält. Seine Rabeneltern werden ihrem Namen gerecht und überbehüten ihn. Richard muss allen beweisen, dass er der Stärkste ist. Einem ausgelassen tanzenden Schaf schaltet er die Musik ab. „Aus!! Einnn!!“, quietschen die Kinder und hopsen auf den Bänken.

Eine braune Bärenpuppe hebt und senkt sich im Schlaf. Stille. Richard schleicht sich langsam an. Ein Mädchen in der ersten Reihe hat die Augen weit aufgerissen: „Bär wach auf!“ Kreischend fallen die anderen ein, hinten blinken doch ein paar Schuhe. Der Zauber funktioniert noch. Sogar wenn die beiden Spielerinnen mit den Stofffiguren offen vor der Bühne hantieren, fiebern die Kinder mit.

„Mit einer Schließung würde ein wichtiger Baustein der Kinderkulturszene verloren gehen“, erklärt Stefan Nowicki von der Kulturbehörde. Mögliche Mitnutzer für das Haus seien vorhanden, man müsse aber noch warten, ob die Sozialbehörde die Räume selbst wolle. „Aus unserer Sicht spricht nichts dagegen, dass die Kulturbehörde parallel eigene Lösungswege sucht“, versucht Sozialbehörden-Sprecherin Serocka die Rolle des Bremsklotzes abzuwehren. Finde sich ein gutes kulturelles Konzept, werde man sich auch für niedrige Mieten einsetzen.

Während die Behörden noch mit Akten- und Gedankenaustausch beschäftigt sind, kann das Theater kein neues Programm planen, keine Ensembles für 2012 buchen. „Wird die Politik nicht endlich aktiv, fällt der Vorhang!“, appelliert Puppenführerin Kiehn nach der Aufführung. „Wir sind das Bindeglied vom Kuscheltier zum Schauspielhaus.“