Die Freiheit des Worts

PARIS Speed-Interview mit Kulturministerin

„Hassreden und Rassismus sind Straftaten“

FLEUR PELLERIN

Damit sie neue Filme sehen und Gespräche mit Regisseuren und Schauspielern führen, lädt Unifrance, die Auslandsvertretung der französischen Filmbranche, Mitte Januar Journalisten und Filmverleiher nach Paris ein. Zum Programm gehört eine Pressekonferenz, bei der Branchenvertreter die Erfolge des französischen Films im Ausland preisen. In diesem Jahr freuen sie sich besonders über die Oscar-Nominierungen für Marion Cotillard und für die mauretanisch-französische Koproduktion „Timbuktu“.

Fleur Pellerin, seit August Ministerin für Kultur und Kommunikation, hat einen kurzen Auftritt. Als Einzige bezieht sich die 41 Jahre alte Politikerin des Parti Socialiste direkt auf die Anschläge, die Charlie Hebdo und einem koscheren Supermarkt galten. „Kultur ist unsere beste Verteidigung“, sagt sie; es gelte, die „republikanischen Werte“ hochzuhalten.

Im Anschluss an die Pressekonferenz dürfen fünf Journalisten mit Pellerin sprechen, allerdings nicht länger als 15 Minuten, ein Speed-Interview. Wie reagiert sie als Ministerin für Kultur auf die Anschläge, möchte ich wissen. „Die schreckliche Situation, die wir erlebt haben, zeigt, wie notwendig Kultur ist“, antwortet sie. „Denn Kultur hilft den Menschen, das kritische Urteilsvermögen zu schärfen und Fundamentalismus, Ideologien und Dogmen zu widerstehen.“

Konkret heißt das: In enger Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium möchte sie dafür sorgen, dass Schüler und Schülerinnen in den Vorstädten Filme wie „Timbuktu“ sehen. Der Regisseur Abderrahmane Sissako erzählt darin, wie Dschihadisten in Mali Terrain gewinnen. Sein Film ist weniger anklagend als lakonisch und registrierend und hat gerade deshalb große Kraft. Ob sich Teenager, die, wie die an manchen Schulen gestörte Schweigeminute zum Andenken an die Opfer der Attenate nahelegt, Sympathien für Islamisten hegen, davon beeindrucken lassen? Die Zeit, der Ministerin diese Frage zu stellen, bleibt nicht.

Eine Kollegin erkundigte sich nach der Grenze der Meinungsfreiheit, wie sie etwa der Fall von Dieudonné markiert. Vor Kurzem postete der für seine antisemitischen Ausfälle bekannte Komiker auf Facebook den Satz „Je me sens Charlie Coulibaly“; dafür muss er sich vor Gericht verantworten. „Die Freiheit des Worts ist sehr wichtig in Frankreich“, sagt Pellerin. „Das hat eine lange Tradition, denken Sie an Rabelais und Voltaire. Dazu gehört, dass man Gefühle verletzen kann. Aber man darf das Gesetz nicht brechen. Hassreden, Rassismus und die Verteidigung von Terrorismus sind Straftaten.“ Wie schwierig es ist, genau zu wissen, wo die Grenze zwischen Hetze und freier Meinungsäußerung verläuft, darüber hätte man noch lange mit Fleur Pellerin reden wollen. Doch die Frau, die zum Pressestab der Ministerin gehört, schreitet ein: „Bitte eine Frage zum Kino.“ CRISTINA NORD