Der Feind in meinem Bett

Sie lauert in alten Matratzen und überträgt 28 Krankheiten: die gemeine Bettwanze

In diesem Monat will die Bundesregierung ihre Biodiversitätsstrategie vorstellen. Und im Mai 2008 streiten die Vereinten Nationen über Tier- und Pflanzenschutz. Denn in den nächsten 100 Jahren werden 30 bis 50 Prozent aller Arten ausgestorben sein. Trotzdem mal ehrlich: Es gibt auch Arten, die gern verschwinden dürften. Mit der Serie „Kreaturen, die die Welt nicht braucht“ macht die taz der Evolution schon mal Vorschläge. Mehr Kreaturen finden Sie unter www.taz.de/kreaturen

BERLIN taz ■ Stellen Sie sich bitte vor, Ihr halbwüchsiges Kind schaut plötzlich seltsam aus. Es ist mit roten Punkten überzogen, die wie jeweils 20 Zentimeter lange Nähte über seinen Körper verlaufen. Es werden jeden Tag mehr Nähte, mehr Pickel. Was tun Sie? Sie warten erst mal drei Tage ab. Es sitzt vor dem Fernseher und kratzt sich die roten Pickelchen auf, es rubbelt die Hosenbeine gegen das Schienbein, schabt sich hinterm Ohr, ritzt mit den Fingernägeln über die Kopfhaut. Dann schicken Sie das Kind zum Arzt. Und der stellt fest: „Das Kind hat Wanzen.“

Wanzen gibt’s doch gar nicht mehr, das ist doch Mittelalter? Irrtum. Allein in der Hauptstadt hat das Berliner Tropeninstitut im vergangenen Jahr 193 Fälle von Befall mit der Gemeinen Bettwanze (Cimex lectularius) gemeldet. Vor zehn Jahren waren es nur 24 Fälle. Der völlig unnütze Parasit hat in Mitteleuropa ein neues, zentral geheiztes Zuhause gefunden. Vor allem deshalb, weil heute jeder mal eben für 19,99 Euro quer durch Europa fliegen kann.

Tatsächlich war das Kind gerade zu einem Kurzurlaub in Paris.

Man hätte stutzig werden können, als die kleine Jetsetterin daheim Fotos vom preiswerten Hotel am Montmartre zeigte: Im Nebenhaus logierte, wie die Leuchtreklame verkündete, das Bordell „Schatzi“, am Bildrand war zudem eine Frau mit einem verdammt kurzen Rock zu erkennen. Kurzum, das Kind war im Rotlichtviertel gelandet. Drei Übernachtungen auf einer Matratze, die wohl schon alles gesehen hatte, reichten dem fünf bis acht Millimeter langen rotbraunen Parasiten, den Flug nach Deutschland klarzumachen.

Die neuen Mitbewohner zum Auszug zu bewegen, stellte sich als aufwendig heraus. Nicht nur, dass für Wochen sämtliche Kissen und Decken verräumt werden mussten, nicht nur, dass eine Woche lang täglich die Bettwäsche für vier Personen gewaschen werden musste. Schlimmer noch war das bange Warten auf den eigenen Juckreflex, auf eine sauber gesteppte Pickelnaht irgendwo am Körper, und die Panik, die aufkam, als auch die Katzen anfingen, sich – ausgiebiger als sonst? – zu putzen.

Doch am schlimmsten war es für das Kind. Drei Tage Quarantäne und einreiben mit einer Emulsion, deren Wirkstoff das aus der Landwirtschaft bekannte Insektizid Lindan ist. Und zwar von Kopf bis Fuß. Anschließend eine Woche Behandlung mit Kortison, weil die Wanze in der Lage ist, 28 Krankheiten zu übertragen, auch Hepatitis.

Merci Paris! EMILIE PLACHY