Als uns Valja Balkanska im All vertrat

Elwira Niewiera und Kornel Miglus’ Dokumentation „Bulgarian Stories“ widmet sich dem aussterbenden bulgarischen Volkslied. Das Roadmovie erzählt aber auch vom Leben am Ende Europas, wo die Caritas den Kommunismus ersetzte

1977 flog die Voyager-Sonde ins All. An Bord gab es Souvenirs von der Erde, die Außerirdischen von unserer Zivilisation berichten sollten. Unter anderem: Grüße in mehreren Menschensprachen, Tonaufnahmen bellender Hunde und schreiender Babys sowie Musik von Beethoven, den Beatles und ein Lied der bulgarischen Dorfsängerin Valja Balkanska. In Bulgarien war man damals sehr stolz darauf, die Menschheit im All vertreten zu dürfen. In Sofia brach ein regelrechtes Cosmic-Fieber aus. Inzwischen ist das Interesse für Außerirdische in Bulgarien nicht mehr so groß, und das bulgarische Volkslied ist am Aussterben.

Elwira Niewiera und Kornel Miglus’ Dokumentation „Bulgarian Stories“ ist kein sentimentaler Film, der larmoyant das Verschwinden der bulgarischen Dorfliedkultur beklagen würde, sondern eher ein Roadmovie mit vielen, zumeist von alten Frauen gesungenen Liedern; ein Dokumentarfilm mit einer ungewöhnlichen Dramaturgie, die die Zufälligkeiten einer Reise abbildet. Beim Gucken fühlt man sich wie ein Reiseteilnehmer und vergisst nach einer Weile, dass hier nur Bulgarisch gesprochen wird.

Alles wirkt auf eine schöne, leichte Art natürlich; weil die Filmemacher drei Jahre lang recherchierten und mit ihren Protagonisten vertraut sind, können sie sich treiben lassen. Der erste Teil des Films, der ohne Off-Kommentar auskommt, spielt in einem verarmten bulgarischen Bergdorf, in dem fast nur noch alte Menschen wohnen. Einsam döst der Dorfplatz vor sich hin. Mit respektvoller Neugierde schaut die Kameras auf die Details von Innenräumen.

Die Filmemacher sind zu Gast bei einem alten Ehepaar. Die Frau mit dem schönen Namen Baba Janka kennt viele alte Lieder, beschließt viele ihrer Sätze mit einem lächelnden „Fick deine Mutter“ und erinnert die Filmemacher bei dem Besuch aber vor allem erst mal daran, dass sie ihr das letzte Mal versprochen hatten, hier zu heiraten. Das ist nicht ganz einfach: Die Ofenrohre in der Kirche sind kaputt, vor allem sind die beiden katholisch; müssen also nicht nur getraut, sondern nach russisch-orthodoxem Brauch neu getauft werden. Die Heirat der beiden ist nicht nur eine sehr schöne, oft auch komische Nebengeschichte, sondern öffnet auch neue Umwege, auf denen man unterschiedliche Menschen, Wohnungen und Gebräuche kennenlernt, und verstärkt die Nähe der Filmemacher zu ihren Helden, die teils durchaus körperlich ist.

Der zweite Teil spielt vor allem in der lokalen Caritas-Station und berichtet von der schwierigen Situation im Dorf. Zwei Frauen formulieren eine Petition und überlegen, ob es heißen soll: „Wir haben Probleme mit den Lebensmitteln“ oder „Wir haben nichts zu essen“. Viele sagen, im Kommunismus sei alles besser gewesen. Das eigentliche Thema des Films, die bulgarischen Volkslieder, die an bestimmten Tagen des Jahres gesungen wurden, läuft locker mit. Im dritten, „Das Erbe“ betitelten Teil, begleiten die Filmemacher zwei alte Frauen in die Stadt, wo sie einen Professor besuchen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das bulgarische Liedgut zu archivieren. Sie haben die mehr als 200 Lieder ihres Dorfes aufgeschrieben und schenken sie ihm. Man diskutiert über die Anlässe, zu denen die Lieder gesungen wurden – kirchliche und landwirtschaftliche Bräuche – und der Professor doziert ein bisschen über das Thema.

Der eigentlich viel zu kurze Film endet mit Kindern, die sehr schön auf einem Spielplatz mit einem raketenförmigen Klettergerüst singen und sagen, sie würden gerne Sänger werden, wenn sie einmal groß sind. Die Voyager-Sonde hat vor drei Jahren unser Sonnensystem verlassen.

DETLEF KUHLBRODT

„Bulgarian Stories“. D/Pl 2006, 72 Min. Premiere am Donnerstag, dem 30. 8., 20 Uhr, im Kino Hackesche Höfe