„Die einzige Regel ist Respekt“

LEHRE I Robert Heinrich wurde im Dezember mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet. In seinem Unterricht überzeugt er mit guter Laune, Sinn für Humor und modernen Lehrmethoden

VON JOSHUA KRANZ

Robert Heinrich ist Englischlehrer, er unterrichtet einen Leistungskurs der Oberstufe im Lichtenberger Johann-Gottfried-Herder-Gymnasium. Gerade hat er einen Comicfilm abgespielt. „Ich will von euch wissen, welche Botschaft für euch persönlich die wichtigste ist!“ Nacheinander fragt er die fünfzehn Schüler des kleinen Kurses. Sie sollen formulieren, was der Film aussagen möchte. „Sei kein Rassist“, sagt Nikita entschlossen. Heinrich nickt. „Welche war es für dich?“, fragt er eine Schülerin in der ersten Reihe. „Akzeptiere Menschen, die anders sind als du selbst“, entgegnet sie. Heinrich scheint stolz über die Antwort, er wirkt fast wie ein Vater, dessen Tochter gerade die ersten eigenen Schritte gemacht hat.

Im Dezember wurde Robert Heinrich als einziger Berliner Lehrer und einer von 15 Lehrern bundesweit in der Kategorie „Schüler zeichnen Lehrer aus“ mit dem undotierten Deutschen Lehrerpreis geehrt. Seine Schüler hatten ihn per Brief vorgeschlagen. In dem Schreiben attestierte die Klasse ihm eine gute Vermittlung von „Selbstständigkeit und Toleranz“, die Entfachung von „Leidenschaft für politische Prinzipien“. Mit diesen Kompetenzen überzeugte Heinrich die Jury aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, die ihn schließlich auswählte. Als Heinrich von dem Preis erfuhr, war er überrascht: „Als ich die Nachricht in meinem Postfach fand, dachte ich erst, es sei Werbung.“

Gerade behandelt Heinrichs Klasse das Thema Mobbing. Der kurze Comicfilm zeigt zehn kleine Vögel, die einen größeren ausgrenzen. Der Film vermittelt mit kindlichem Humor die Folgen von gesellschaftlichen Vorurteilen und Diskriminierung. Zusammen mit den Schülern hat er eine Liste erarbeitet, mit den wichtigsten Botschaften des Films. Um die Liste zu besprechen, benötigt Heinrich keine Kreide oder Stifte. Seine Tafel hat eine Touchfunktion. Mit einem Beamer wird ein Desktop auf ein weißes Brett projiziert. Seine Schüler honorieren, dass Heinrich das Interesse „der Jugend an neuen Medien“ verstanden habe.

Sich von jedem Einzelnen die Aufmerksamkeit zu sichern und die Schüler bei Laune zu halten ist dem 41-jährigen Heinrich wichtig. Immer wieder ermuntert er die Schüler und stellt ihnen Fragen: „Du hast doch bestimmt eine interessante Meinung“, ermutigt er ein junges Mädchen. Die Klasse hat bei Heinrich keine Chance auf einen kleine Verschnaufpause. Von dem Kurzfilm geht er über zu einer Kurzgeschichte. Die Schüler sollen sie lesen und anschließend eine Szene nachspielen, wie im Theater. Zwei Mädchen werden aufgerufen. Etwas ungeschickt stellen sie eine Mobbing-Szene nach. Es wird viel gelacht. Die anderen müssen die Szene erraten. „Ich mag die Abwechslung im Unterricht von Herrn Heinrich“, erklärt eine Schülerin auf dem Pausenhof.

Und wirklich ist Robert Heinrich für neue Ideen immer offen. „Ich besuche hier in Lichtenberg eine regionale Fortbildung, das sind sehr interessante Lehrer, mit immer neuen Ansätzen. Dort tauschen wir uns aus“, erklärt er. Auch ein gutes Kollegium sei wichtig, denn nur als Team könne man Schule aktiv verändern.

Immer, wenn die Schüler sich in einer Gruppen- oder Partnerarbeit befinden, macht Heinrich sich Notizen. Er beobachtet sehr genau, in welchem Maß seine Schüler selbstständig arbeiten. Fangen sie im Englischunterricht an, Deutsch zu sprechen, bekommen sie eine „Verwarnung“. Bei drei Verwarnungen müssen sie einen Kuchen backen: „Essen tun sie ihn sehr gerne, nur selber backen wollen sie nicht“, schmunzelt er.

Heinrich hält Sanktionen wie diese für besser als eine Bestrafung durch Noten. „Noten widersprechen dem Lehrauftrag“, erklärt er. Ihm fällt es schwer, Schülern eine schlechte Note zu geben. Menschen zu klassifizieren helfe später im Beruf niemandem. Statt Noten legt Heinrich mehr Wert auf die Fähigkeit, Probleme aus verschiedenen Perspektiven betrachten zu können: „Man hat bei Herrn Heinrich immer das Gefühl, er macht sich vor jeder Stunde Gedanken, was er selbst als Schüler interessant finden würde“, schrieben die Schüler in ihrem Brief an die Jury.

Die Schüler sind sich einig: „Wenn du Herrn Heinrich hast, hast du echt Glück.“ Heinrich reagiert hier deutlich verhaltener: „Ich halte mich nicht für etwas Außergewöhnliches. Den Preis hätten einige Kollegen von mir genauso verdient.“

Nur gut also, dass der Deutsche Lehrerpreis nicht nach Selbsteinschätzung verliehen wird, sondern ausschließlich an Lehrer, die von ihren Schülern vorgeschlagen werden.

So oder so: Würde es an jeder Schule auch nur eine Handvoll ebenso bescheidener wie wendiger Lehrer wie Heinrich geben, die „das Lehrerdasein als Werkzeugkasten betrachten“ – die Schüler an den Schulen wären wahrscheinlich besser dran. „Wenn der Hammer nicht funktioniert, probiert man es mit dem Schraubschlüssel“, formuliert Heinrich es selbst. „Es gibt kein allgemeines Rezept. Meine einzige Regel ist gegenseitiger Respekt.“