Den starken Staat erfinden

Wie schützen wir den Bürger vor der Willkür, vor den Zugriffen des Staates auf sein Leben und seine Interessen? Diese hochaktuellen Fragen diskutierten die Staatserfinder der USA, Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, in einer Zeitungsserie. Gut, dass sie nun in einem Band zu lesen ist

VON MICHAEL RUTSCHKY

Wie seine Bürger einen Staat konstruieren, dabei kann man in der Regel nicht zuschauen. Der Staat scheint immer schon da. Allenfalls wird er durch einen anderen erobert; oder eine Revolution ersetzt das alte Regierungssystem durch ein anderes. Aber dass die Bürger aus dem Nichts, aus dem Naturzustand heraus, in dem sie noch gar keine Bürger sind, ihren Staat erfinden, dies Schauspiel ist selten zu sehen.

Genau so verlief auch die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika nicht – deren Vorgeschichte als britische Kolonie dem legendären britischen Staatstheoretiker Thomas Hobbes das Bild vom Naturzustand lieferte. Sie mussten die Kolonialmacht Großbritannien besiegen, sie mussten ihre Unabhängigkeit ausrufen – und dann begann eine harte und heftige Auseinandersetzung über die Form der neuen Republik.

Als zentrales Problem beschäftigte die Staatserfinder: Wie schützen wir den Bürger vor der Willkür, den Zugriffen des Staates auf sein Leben und wahren seine Interessen? Und wie gewähren wir diesem Leben und diesen Interessen zugleich die notwendige Sicherheit des staatlichen Rahmens? Den Bürger vor dem Staat zu schützen, das ist kein europäisches, schon gar kein deutsches Problem; hier ist der Staat in seiner Souveränität gegenüber den Bürgern das höchste Gut. Er ist das Allgemeine, das sich gegen die Partikularinteressen der Bürger unbedingt durchzusetzen hat, ob es nun um Faustkämpfe auf dem Schulhof oder das Abschöpfen von Unternehmensgewinnen durch Besteuerung geht.

Die Auseinandersetzung der Amerikaner kreiste um die Frage, ob ihre Republik ein Staatenbund werden solle mit weitreichender Autonomie der Einzelstaaten oder ein Bundesstaat mit starker Zentralregierung. Die Diskussion hat einen ihrer Kulminationspunkte in der Artikelserie, die Alexander Hamilton, James Madison und John Jay 1787/88 in New Yorker Zeitungen unter dem Pseudonym Publius – ein altrömischer Prunkname – veröffentlichten und die als „The Federalist Papers“ in den Kanon der politischen Philosophie eingingen. Der Verlag C. H. Beck hat sie jetzt in einer preiswerten Ausgabe allgemeiner zugänglich gemacht; die Einleitung, Übersetzung und die Anmerkungen von Barbara Zehnpfennig sind schön zu lesen und lehrreich.

Schüler im politischen Unterricht, Studenten der Politologie und der Amerikanistik werden den dicken Band dankbar als Quelle nutzen. Bringt er dem Leser etwas, den man im Englischen als general reader bezeichnet und der seinen Stoff in Romanen und der Tageszeitung zu finden pflegt oder in Hollywoodfilmen – als Nachrichten aus der Neuen Welt – wenigstens über das Fernsehen konsumiert?

Doch, die Lektüre bringt ihm etwas. Man muss sich die Situation ausmalen: Grundsatzentscheidungen, die in Europa auf Konzilen und Reichstagen getroffen, als päpstliches Sendschreiben oder kaiserliche Bulle verkündet wurden, sie waren hier der Gegenstand von – Zeitungsartikeln. Ernste Männer bieten all ihre Geisteskräfte auf, um ihresgleichen davon zu überzeugen, dass die Sicherung der Grenzen, der Handel im Äußeren wie im Inneren, die demokratische Selbstbestimmung der Bevölkerung, vor allem – und immer wieder – die Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen Bürgers nur durch einen starken Zentralstaat garantiert werden können.

Welches Gewicht diese Zeitungsartikel besitzen, sagt gleich der erste ergreifend schön: „Sind menschliche Gesellschaften wirklich dazu fähig“, so Alexander Hamilton wörtlich, „eine gute politische Ordnung auf der Grundlage vernünftiger Überlegung und freier Entscheidung einzurichten, oder sind sie für immer dazu verurteilt, bei der Festlegung ihrer Verfassung von Zufall und Gewalt abhängig zu sein?“ 1787 war Alexander Hamilton 32 Jahre alt. 1789 wird er Finanzminister seines frisch gebackenen Zentralstaats und initiiert, wie die Historiker berichten, als solcher eine Reihe folgenreicher Maßnahmen. 1804 stirbt er eines merkwürdigen Todes: in einem Duell mit Aaron Burr, der Thomas Jeffersons Vizepräsident war, wegen schwerer politisch-moralischer Differenzen.

James Madison, der zweite „Publius“, zählte 1787, zur Zeit der Federalist Papers, 34 Jahre und wurde 1809 der vierte Präsident des Zentralstaats, nach Thomas Jefferson, der übrigens ein Gegner der Federalists und Befürworter des Staatenbundes in den Achtzigerjahren gewesen war. John Jay, Jahrgang 1741, verfasste nur fünf der Federalist Papers, er wurde Außenminister seines Staates und später der erste Oberste Richter an dessen Oberstem Gericht.

Doch, von solchen Helden der modernen Welt, die Mut, Kraft und Intelligenz in Pressekämpfe um Grundsatzfragen ihrer Staatsgründung investiert haben, liest man gern.

Alexander Hamilton, James Madison, John Jay: „Die Federalist Papers“. Vollständige Ausgabe, herausgegeben und übersetzt von Barbara Zehnpfennig, C. H. Beck, München 2007, 583 Seiten, 19,90 Euro